Gesellschaftliche Bedeutung von Gewichten

Shu-Shin
Die Festlegung von Gewichtseinheiten war im Vorderen Orient den Königen vorbehalten. Gewichtsfunde mit Inschriften von Königen sind deshalb keine Seltenheit. Dieses Gewicht trägt den Schriftzug "Shu-Shin, König von Sumer und Akkad" (ca. 2030 BC).Louvre Museum: AO 246. © Marie-Lan Nguyen / Wikimedia Commons.

Kontexte der bronzezeitlichen Gewichtsnutzung

Aghia-Photia
Dieses Steingewicht wurde bei Aghia-Photia auf Kreta gefunden. Auch wenn man Linear A Inschriften nicht lesen kann, ist es doch sehr wahrscheinlich, dass es zum Wiegen von Fischen verwendet wurde. Zeichnung © Jan Miera 2013.

Schriftquellen aus dem vorderasiatischen Raum zeigen, dass mit Gewichten beim Handel zahlreiche Rohstoffe gegeneinander abgewogen wurden. Schriftlich ist dies für Wolle, Haare von Ziegen, Leinen, Garn, Textilien, Seile, Steine, Häute, Elfenbein, Holz, Gewürze, Wachs, Sehnen, Sellerie, Farben, Parfüm, Fisch, Fleisch, Brot, Metalle, Lapislazuli und Korallen nachweisbar. Sogar beim Sklavenhandel sollen Gewichte eingesetzt worden sein. In mesopotamischen Texten  wird außerdem erwähnt, dass Gewichte von Händlern in kleinen Ledertaschen am Körper getragen wurden. Ein reisender Händler wurde demnach als „derjenige, der die Tasche trägt“ bezeichnet (Ratnager 2003: 81). Ferner wird im Gesetzestext von Hammurapi detailliert aufgeschlüsselt, welche Verbrechen mit wie viel Silber aufgewogen werden konnten.

 

Die weite Verbreitung einzelner Gewichtstypen zeigt, dass sich in der frühen Bronzezeit überregionale Gewichtssysteme etablierten. Die 151 Gewichte aus dem Schiffswrack von Uluburun sind nur eines unter vielen Beispielen für  die Bedeutung von Gewichten im Fernhandel. Gewichtsfunde in Werkstätten zeigen uns, dass zumindest für einige Handwerker die Gewichtseinheiten ihrer Waren eine Rolle spielten. Beispielhaft lässt sich die Vergesellschaftung von Gewichten und Halbfertigprodukten aus Elfenbein anführen, welche aus einer Werkstatt in Theben stammen. Ein weiteres Beispiel finden wir in den Werkstätten von Akrotiri, in denen neben bronzenen Waagschalen auch Web- und Scheibengewichte gefunden wurden. Interessant ist, dass in zeitgleichen Texten mit Linear B festgehalten wurde, wie viel Rohstoff zur Herstellung bestimmter Textilien benötigt wurde. Die notwendigen Rohstoffe wurden gewogen bevor man sie Handwerkern übergab. Als sie ihre Erzeugnisse abgaben, wurde erneut gewogen. Damit sollte kontrolliert werden, ob  alles Material benutzt wurde.

 

Gewichte kamen vor und nach dem Transport sowie während eines Austausches bzw. Handels zum Einsatz. Sicher am wichtigsten war das Abwiegen von Metallen, um deren Qualität einzuschätzen. Dies bezieht sich insbesondere auf die Herstellung und den Guss von Bronze und Gold. Ein Beispiel von Bronzen gleichen Gewichts und gleicher Form sind mitteleuropäische Hortfunde. Die darin enthaltenen Fundstücke zeigen Tendenzen zu einheitlichen Gewichtsnormierungen. Dies wird als Indiz dafür herangezogen, dass die bronzen als prämonetare Zahlungsmittel gedient haben könnten.

Ferner ist belegt, dass beim Handel über weite Entfernungen Gefäße mit einheitlichen Größen für organische Materialien benutzt wurden. In diesem Falle musste man nur die Menge der versendeten Gefäße zählen, um von deren Anzahl auf das Gewicht der enthaltenen Rohstoffe schließen zu können.

 

Nach Rahmstorf war ein Aufeinandertreffen zweier Gewichtssysteme grundsätzlich kein Hindernis, um Handel oder Tausch miteinander zu treiben. In der Regel verhält es sich so, dass die verschiedenen Gewichtseinheiten an bestimmten Punkten sich logischen miteinander verschränken. Solche Momente ermöglichen eine Korrelation zweier unterschiedlicher Gewichtssysteme. Wenn man aber eine „logische Verschränkung“ nicht finden konnte, konnte man dennoch ins Geschäft kommen. Nach Rahmstorf könnte in einem solchen Falle der Verkäufer die Ware zunächst mit seinen eigenen Gewichten wiegen und anschließend den Käufer mit seinem Gewichtsset die gewünschte Menge nach den ihn bekannten Einheiten abwiegen lassen. Bei diesem Vorgehen könne man schwierige Umrechnen beider Gewichtssysteme vermeiden und gegenseitig die Genauigkeit der Gewichte  überprüfen.

Spezialisten an der Waage

In Texten aus Mari wird davon berichtet, dass verschiedene Personen in das Wiegen involviert waren. Zum Wiegen sollten ein oder zwei Spezialisten anwesend sein, um die Waage zu bedienen. Hinzu kamen ein Schreiber und Personen, die als Zeugen herbeigerufen wurden. Aus den Texten erfahren wir weiterhin, dass der König von Mari auf seinem Reisen Waagen und Gewichte sowie entsprechendes Personal mit sich führte, um die mit anderen Herrschern ausgetauschten Geschenke zu wiegen.

Gewichte als Prestigeobjekte

Es ist davon auszugehen, dass die Vorgabe von Gewichtseinheiten und die Herstellung von Gewichtsstücken von wenigen Institutionen durchgeführt wurden. Allein dass frühe Gewichtsfunde zuweilen Inschriften tragen, mag auf ihre exklusive Herstellung hindeuten. Man muss hierbei bedenken, dass zu dieser Zeit nur ein kleiner Personenkreis Schreiben und Lesen konnte. Hinzu kommen die vereinzelten Funde von prunkartigen Gewichten aus Mesopotamien. Zu nennen wäre hier ein aus Hämatit hergestelltes und 60,5 kg schweres Entengewicht mit der Inschrift „Ur Ningirsu von Lagash“ aus dem British Museum. Dies entspricht in ungefähr zwei Talent, der größten spätbronzezeitlichen Gewichtseinheit aus dem syrischen Raum. Auch Fundkontexte bestätigen, dass nicht jede Person Zugang zu Gewichten hatte. So gibt es auf mesopotamischen Gräberfeldern in der Regel keine Funde von Gewichten.

 

In der Ägäis dagegen treten Waagen nur in reich ausgestatten Grabkontexten auf. Eines davon ist das Schachtgrab III von Mykene, in dem drei nicht funktionsfähige Waagen aus dünnem Goldblech gefunden wurden. Die Waagschalen sind mit floralen Verzierungen und Schmetterlingsdarstellungen versehen. Dass Müller-Karpe sich darüber wundert, weshalb ein „wenig repräsentatives“ Objekt wie eine Waage aus Gold nachgefertigt wurde, verdeutlicht seine materialistische Wahrnehmung von Artefakten (Müller-Karpe 1980: 678). Wir müssen vielmehr davon ausgehen, dass der Verstorbene zu einem ausgewählten Personenkreis gehörte, der Wiegen konnte bzw. durfte. Vielleicht war er sogar dazu befähigt, Gewichtseinheiten zu definieren und  deren Einhaltung zu überwachen. Dass wir aus eben dieser Zeit, in der sich Gesellschaften so fundamental veränderten und hierarchisierten, Waagen aus Gold finden, spricht Bände. Gewichte und Waagen waren keineswegs alltägliches Gut. Sie waren ein Symbol für eine Form der Macht wie sie nur wenige ausüben konnten.

Verwendete Literatur

Autor Titel Seite
Enrico Ascalone – Luca Peyronel Two weights from Temple N at Tell Mardikh-Ebla, Syria. A Link between metrology and cultic activities in the second Millenium BC? Journal of Cuneiform Studies 53, 2001 1-12.
Klaus Hesse Handel, Tausch und Prestigegüterwirtschaft in außereuropäischen Zivilisationen. In: Bernhard Hänsel (Hrsg.), Handel, Tausch und Verkehr im bronze- und früheisenzeitlichen Südosteuropa. Südosteuropaschriften Band 17. Prähistorische Archäologie in Südosteuropa Band 11 (Berlin 1995) 31-37.
Horst Klengel Handel und Tausch in den Schriftquellen des Alten Orients. In: Bernhard Hänsel (Hrsg.), Handel, Tausch und Verkehr im bronze- und früheisenzeitlichen Südosteuropa. Südosteuropaschriften Band 17. Prähistorische Archäologie in Südosteuropa Band 11 (Berlin 1995) 39-48.
Anna Michailidou (ed.) Manufacture and measurement: counting, measuring and recording craft items in early Aegean societies (Athen 2001) -
Anna Michailidou Weight and value in pre-coinage societies. Band 2 (Athen 2008) -
Anna Michailidou Measuring by weight in the Late Bronze Age Aegean: The people behind the measuring tools. In: Iain Morley – Colin Renfrew (eds.), The Archaeology of Measurement: Comprehending Heaven, Earth and Time in Ancient Societies (Cambridge 2010) 71-87.  
Shereen F. Ratnagar Theorizing Bronze-Age intercultural trade : the evidence of the weights. Paléorient 29/1, 2003 79-92.

Wir betreiben praehistorische-archaeologie.de seit über 10 Jahren in unserer Freizeit. Dazu bieten wir kostenlose Inhalte, die ohne Werbung frei zugänglich sind.

Wenn du unsere Arbeit unterstützen möchtest klicke hier