Gewichtssysteme im Mittelmeerraum

Detailaufnahme eines sogenannten Entengewichtes. Dieses Exemplar aus Susa datiert in das 2. Jahrtausend v. Chr.. Quelle: Wikimedia Commons.

Die Bronzemetallurgie und ihre Folgen

Der Beginn der Bronzemetallurgie im späteren 4. vorchristlichen Jahrtausend setzt im Vorderen Orient und Europa tiefgreifende gesellschaftliche Umstrukturierungen in Gang. Um die begehrte Legierung anzufertigen, mussten  neue Ressourcen ausgekundschaftet und Infrastrukturen geschaffen werden. Das notwendige Zinn war längst nicht überall verfügbar und musste über weite Strecken importiert werden.

In der Folge bildeten sich in der Ägäis, dem Vorderen Orient und Ägypten arbeitsteilige Gesellschaften heraus, in denen Institutionen für den Austausch und Verkehr von Gütern existierten. Mittels der etablierten Gewichtssysteme konnten den verhandelten Objekten messbare Werte und Äquivalente zugeordnet werden. Auch in der Tempelwirtschaft und beim Bronzeguss oder der Herstellung von Halbfabrikaten aus Elfenbein etc. erwiesen sich Gewichte als nützlich.

 

Die Entwicklung von Stadtstaaten, Schrift und klaren gesellschaftlichen Hierarchien förderte die Einführung weiträumiger Gewichtsstandards. Im Mittelmeerraum fassen wir zudem eine Intensivierung der Schifffahrt. Die bekannten Wrackfunde präsentieren sich als voll beladene Handelsschiffe, die neben Kupfer, Bronze und Zinn unter anderem Getreide und Getränke transportierten. Begleitet werden diese Veränderungen mit dem erstmaligen Aufkommen von normierten Gewichten.

Frühe Bronzezeit

Weights
Spulenförmige Gewichte aus Stein. Zeichnung © Jan Miera 2013.
hematite weight
Eiförmige Gewichte aus Hämatit wie dieses sind aus dem 3. Jahrtausend v. Chr. im Vorderen Orient belegt. Zeichnung © Jan Miera 2013.

Karl M. Petruso gehörte zu den ersten Archäologen, die ein Gewichtssystem für den ägäischen Raum herausarbeiteten und dabei ihr methodisches Vorgehen klar formulierten. Als Grundeinheit postulierte er den  9,3 g schweren Šekel. 60 Šekel entsprachen ihm zufolge einer Mina von 566,25 g und 60 Mina kämen einem Talent von 33,6 kg gleich. Seine Theorie konnte er mitunter an den Gewichten aus Troja bestätigen. Die meisten der dort ausgegrabenen Gewichte passten nämlich in das von ihm ermittelte Gewichtssystem.

 

Auch wenn sich Petrusos Vorschlag angesichts zahlreicher Neufunde nicht durchsetzen konnte, gibt es eine Vielzahl an Hinweisen für Gewichtssysteme in der Frühbronzezeit des Mittelmeerraumes. Während die Gewichtsfunde aus der Ğemdet-Nasr-Zeit und Tepe Gawra aus der späten Urukzeit umstritten sind, datieren die frühesten gesicherten Gewichtfunde im mesopotamischen Raum, Anatolien, Syrien, Palästina und aus der Ägäis in die Mitte des dritten Jahrtausends vor Christus. Darüber hinaus stehen sie in einer engen Beziehung zu den ausgeprägten Handelskontakten zwischen der Ägäis, Syrien und Mesopotamien zu dieser Zeit. Anhand der Gewichtsfunde lassen sich sogar Verbindungen von Mesopotamien bis zur Harappa-Kultur (Indus-Kultur) aufzeigen. Auf einigen der Fundplätze der Harappa-Kultur wurden nämlich mesopotamische Gewichte entdeckt und umgekehrt sich auch die markanten würfelförmigen Harappa-Gewichte vereinzelt in Mesopotamien gefunden worden. In der Ägäis dagegen nutzte man spulenförmige Gewichte. Im Vorderen Orient sind länglich-ovale Gewichte aus Hämatit sehr weit verbreitet gewesen.

 

Aus Früh-Helladisch-II-zeitlichen Strukturen der Siedlung von Lerna, gelegen in der Argolis auf der Nordostpeloponnes, wurden neben Versiegelungen auf Gefäßen auch Gewichte aus Stein und Spondylus gefunden. Die jeweils 57 g, 8,4 g und 33,2 g schweren Stücke befanden sich in einer Kammer und einem Turm, der in eine Umfassungsmauer eingegliedert war. Überdies sind aus der Siedlung Vorratsgefäße und standardisiertes Ess- und Trinkgeschirr bekannt, sodass wir einen administrativen Kontext für die Gewichte und Versiegelung annehmen dürfen. Für die jeweils 8,4 und 33,2 g schweren Gewichte gibt es mehrfach Parallelen in Syrien.

 

Über die frühbronzezeitlichen Gewichte aus dem syrischen Ebla/Tell Mardikh sind wir durch schriftliche Zeugnisse informiert, die dort gefunden wurden. Die Texte informieren uns weiterhin über die Anwesenheit mehrerer Geschäftsleute, die in Ebla Station machten. Da auch Hämatitgewichte in Tempel N gefunden wurden, kann eine Nutzung in einem kultischen Kontext bzw. eine Kontrolle von Gewichtseinheiten durch die Priesterschaft nicht ausgeschlossen werden. In Ebla wurden mitunter sogar Gewichte mit Markierungen ausgegraben. Ein Gewicht mit einer Strichmarkierung wiegt 467,5 g. Hinzu kommen Gewichte mit einer Markierung aus zwei Strichen, die 860 g wiegen, d.h. 2 x 430 g. Schließlich gibt es solche, die mit drei Ritzungen versehen sind und ca. 1332 g wiegen, d.h. 3 x 444 g. Nach Rahmstorf zeigen uns diese Funde, mit was für Ungenauigkeiten innerhalb eines Gewichtssystems zu rechnen ist.

Erschwert wird dies durch weitere Funde, etwa dem Gewicht aus Tell Sweyhat. Eines der dort gefundenen Gewichte trägt die Inschrift „eine Mina“ und wiegt 472,2 g. Allgemein wird deshalb in der Literatur eine Mina als ein Gewicht mit einer Masse von ca. 470 g beschrieben. Nach Rahmstorf besteht eine Mina aus 50 Šekel von ca. 9,4 g. Interessanterweise gibt es aus dem zweiten Jahrtausend Gewichtsfunde Ägypten, deren Grundeinheit bei einem Qedet liegt, welcher 9,3 g wiegt. Weiterhin liegt aus Tell Brak, Tepe Gawra und Tarsus eine Gewichtseinheit von 8,33 g vor. Die Genauigkeit dieses Systems lässt sich an einem Gewicht aus Tell Brak aufzeigen. Dieses wurde mit drei Ritzungen versehen und wiegt genau 25,03 g, das entspricht dem Dreifachen von 8,33 g.

Späte Bronzezeit

Ein Entengewicht (5 Mina).Quelle: Wikimedia Commons.
Ein aus Diorit hergestelltes Gewicht (5 Mina) mit der Inschrift von Shu-Shin, dem König von Sumer und Akkad, ca. 2030 BC. Louvre Museum: AO 246. © Marie-Lan Nguyen / Wikimedia Commons.

Dass in der späten Bronzezeit dieses 8,3 und 9,4 Gramm weiterhin bedeutende Gewichtseinheiten waren, lässt sich am besten an den 151 Gewichtsfunden aus dem Schiffswrack von Uluburun aufzeigen. Wie Pulak herausarbeiten konnte, beruhen die Gewichte auf dem Schiff von Uluburun auf der Basis von 9,4 g. Selbiges gilt für die Gewichte aus dem Wrackfund von Cape Gelidonya. Die sphenoidförmigen Gewichte von dem Schiff von Uluburun sind mit vier zeitgleichen Gewichtssystemen kompatibel gewesen. Sie beruhten auf der Basis von 7,4 g, 8,3 g, 9,4 g und 10,5 g. Die 9,4 g Einheit ist ein Indiz für die Anwesenheit von syrischen oder zypriotischen Händlern auf dem Schiff. Die Einheit von 8,3 g finden wir auch im babylonischen Šekel wieder.

 

Während der späten Bronzezeit war in Syrien die ca. 470 g schwere Mina in drei Systeme gegliedert. So setzte sie sich in Karkemiš aus 60 Šekel zu jeweils 7,83 g zusammen, in Ugarit, Tell Brak und Tell Munbaqa aus 50 Šekel zu 9,4 g und in Hatti aus 40 Šekel zu 11,75 g. Dieses System lässt sich an einem Fund aus Tell Brak nochmals bestätigen. Von dort stammt ein mit fünf Ritzungen markiertes Gewicht, dessen Masse 46,92 g betrug, also das Fünffache von 9,38 g. Alle diese drei genannten Gewichtssysteme existierten zeitgleich in Ebla.

 

Auf Kreta und den Kykladen dominierte während der späten Bronzezeit eine Gewichtseinheit auf der Basis von 61-65.5 g. Ein Beispiel für Handel zwischen Gebieten mit unterschiedlichen Gewichtssystemen finden wir in Ugarit. Die dort gängige westsyrische Mina wog 470 g und war mit vier anderen Systemen kompatibel. Ferner wurden dort Gewichte mit dem Standard der Ägäis gefunden. Im Gegenzug gab es Gewichte der syrischen Mina auf Akrotiri. Der Standard in der Ägäis mit 65,5 g war das zehnfache des Šekel aus dem Nahen Osten und das Fünffache des ägyptischen Deben, dem Standard für Gold. Dieser betrug 13 g. Ferner gab es in der Ägäis Gewichte mit 67 g, mit denen babylonische Šekel von 8,4 g korreliert werden konnten.

Das sexagesimale Gewichtssystem

Das sexagesimale Gewichtssystem. Tabelle nach L. Rahmstorf (2011: 153).

Wie lassen sich die 7,8 g, 9,4 g, 11,75 g und 47 g miteinander vereinen? Lorenz Rahmstorf konnte in seinen Arbeiten herausarbeiten, dass das Gewichtssystem sexagesimal ist.

Er schreibt: "Durch die Zahlenverhältnisse zueinander können wir erkennen, dass 7,83 g in Wirklichkeit die Zahl 10, 9,4 g in Wirklichkeit die Zahl 12 und 11,75 g in Wirklichkeit die Zahl 15 darstellten. Besonders häufig lässt sich bei den Gewichtswerten der spulenförmigen potenziellen Gewichte die Masse von 45 bis 47 g feststellen. 47 ist umgerechnet in das „Gramm“ des 3. Jahrtausends v.Chr. die Zahl 60 und damit das erste gemeinsame Vielfache von 10, 12 und 15. Das gesamte Gewichtssystem beruht auf 60, ist also sexagesimal. 60 ist eine ganz besondere Zahl, die eine außerordentlich hohe Zahl von zwölf Teilern aufweist. Dieses Phänomen wurde anscheinend bewusst bei der Erfindung dieses Gewichtssystems, vielleicht im obermesopotamisch-syrischen Raum, ausgenutzt" (Rahmstorf 2011: 153).

Verwendete Literatur

Autor Titel Seite
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