Leichenbrand

Einleitung - Was ist Leichenbrand?

Von der mittleren zur späten Bronzezeit vollzieht sich ein Wandel im Bestattungsritus. Die Verstorbenen werden von ihren Hinterbliebenen verbrannt. Körpergräber werden zusehends seltener. Mit wenigen individuellen Ausnahmen bleibt dieser Ritus in Teilen Europas sogar bis in die Völkerwanderungszeit bestehen. Dieser Zeitraum von rund 1500 Jahren entspricht 50-60 Generationen. Körpergräber gibt es für diese Zeit in Nordeuropa wenige. Nur weil ein Mensch verbrannt wurde, heißt das nicht, dass man über ihn und sein Leben nichts mehr in Erfahrung bringen könnte.

 

Dieser Meinung waren Archäologen bis in die 1930er hinein. Daher führten sie generell keine Untersuchungen an Leichenbränden durch. Mit wenigen Ausnahmen wurden die verbrannten Knochen weggeworfen. Man hatte ein größeres Interesse an den Urnenbeigaben als am Menschen. Die Urnen wurden ausgegraben, entleert und ausschließlich nach Beigaben durchsucht. Die Asche war reine Nebensache. Das Geschlecht des Toten wurden von den Beigaben abhängig gemacht - eine sehr vorurteilslastige Methode. Nur eine handvoll anthropologisch ausgebildeter Archäologen beschäftigte sich mit den Leichenbränden. In den 1930er Jahren änderten Archäologen sich im Umgang mit Urnen. Die ersten systematischen Untersuchungen von Urnen wurden von C. Krumbein 1934 durchgeführt. Seine Arbeit markiert einen Wendepunkt im Umgang mit Brandbestattungen. Er sah sich die verbrannten Knochen näher an und suchte nach Methoden, mit denen aus ihnen mehr Informationen gewonnen werden konnten. Seine vertiefte Auseinandersetzung fruchtete. Die Diagnose von Alter und Geschlecht konnte schon bald unabhängig von den Beigaben durchgeführt werden.

Wenn ein Leichnam auf einem Scheiterhaufen verbrannt wird, bleiben seine anorganischen Überreste im so genannten Leichenbrand zurück: Knochen und Zähne. Aus diesen beiden Quellen kann man noch Rückschlüsse auf das Geschlecht und das Sterbealter ziehen. Sogar Krankheiten und pathologische Veränderungen können inzwischen identifiziert werden.

 

Der vollständige Leichenbrand einer ausgewachsenen Person wiegt ca. 2,5kg. In ur- und frühgeschichtlicher Zeit wurde der Leichenbrand jedoch aufgelesen und nicht vor Ort – d.h. am Platz des Scheiterhaufens – bestattet. Deswegen findet man meistens 200 bis 250g. Bei Kindern und jugendlichen ist es natürlich weniger.

Der Leichenbrand ist zudem häufig mit Asche und Erde vermischt, selbst wenn man ihn in einer Urne beigesetzt hat. Wenn er vom Scheiterhaufen aufgelesen wurde, hat man nicht darauf geachtet, ob Sedimente mit in die Urne gelangen. Oftmals wurde der Leichenbrand geschichtet in die Urne gegeben. In der untersten Schicht sind die Füße, in der nächsten die Beine usw. und in der obersten der Kopf. Ist ein Knochen für die vorgesehene Urne nicht klein genug gewesen, wurde auch mal nachgeholfen, indem er passend zerkleinert wurde.

Varianten von Brandgräbern

Urnengrab
Ein Urnengrab.
Brandschüttungsgrab
Ein Brandschüttungsgrab.
Brandgrubengrab
Ein Brandgrubengrab.

Die verbrannten Reste der Verstorbenen wurden in verschiedenen Grabformen bestattet.

  1. Urnengräber: Der Leichnam wird verbrannt und sein Leichenbrand in einer Urne unter einem Grabhügel bzw. in einer Grube ohne Hügel beigesetzt.
  2. Brandschüttungen: Nach dem Verbrennen wird der Leichenbrand zusammen mit den verbliebenen Beigaben in einer kleinen Grube beigesetzt.
  3. Brandgruben: Der Leichenbrand wird aufgelesen und in eine Grube gestreut.
  4. Bustum: Bei einem Bustum entspricht der Verbrennungsort auch dem Bestattungsort. Die Reste des Scheiterhaufens und der Knochen werden nach der Verbrennung in ihrer Lage belassen oder zusammengescharrt (meist zu getrennten Häufchen) und mit Erde überhäuft. 

Feuer und Knochen

Obwohl im Leichenbrand nur die Fragmente von Knochen erhalten sind, kann man diese anhand der Art der Hitzerisse, ihrer Form und Oberflächenmerkmale sowie der Farbe bestimmen. Die Knochenschäfte (Diaphysen) brechen parabelförmig in Längsrichtung, wenn sie einer starken Hitze ausgesetzt werden. Knochen vom Schädel dagegen weisen eine polygonale Felderung auf. So kann man anhand dieser Oberflächenstrukturen Knochen zuverlässig voneinander differenzieren. 

Die Knochenfragmente werden bei der Untersuchung in Größenkategorien gegliedert. 

Parabelförmige Risse
Parabelförmige Risse.
Polygonale Felderung
Polygonale Felderung.

Größenklassen von Knochenfragmenten

Größe Kategorie
Fragment <1cm Klein
Fragmen 2-3cm Mittelgroß
Fragmen >5cm Groß

Veränderungen am Knochenmaterial durch Hitze

Je nach dem Grad der Hitzeeinwirkung auf die Leiche kann es zu Verformungen (Verbiegungen und Schrumpfung) und Verfärbungen der Knochen kommen. Anthropologen haben inzwischen Formeln entwickelt, mit denen sie die ursprüngliche Größe eines Knochens berechnen können.

Unter großer Hitzeeinwirkung kommt es zur Bildung von Hitzerissen. Diese Veränderungen am Knochenmaterial entstehen, weil Knochen zu 30-40% organisches Material (Wasser und Kollagen) enthalten. Beim Verbrennen werden die organischen Bestandteile vernichtet und es kommt dadurch zu Veränderungen in Form und Farbe.

 

100-300°C
Es kommt zu einem Volumenverlust des Knochens. Die Kollagenfabrillen schrumpfen und damit der Knochen insgesamt. Es verfärbt sich zunächst gelblich, wird dann mit zunehmender Hitze bräunlicher.

 

300-600°C
Der Knochen dehnt sich wieder aus und erreicht beinahe wieder seine natürliche Größe. Allerdings nimmt die Festigkeit proportional zu der Temperatur rapide ab. Bei 600°C erreicht die Abnahme ihr Maximum. Bei der zunehmenden Hitze ändert er mehrfach seine Farbe. Anfangs ist er noch braun. Dann wird er schwarz  und schließlich bei 600°C grau-blau.

 

600-900°C
Wenn ein Scheiterhaufen diese Temperaturen erreichte, färbten sich die Knochen weiss. Bei dieser Hitze nahmen sie ein kreidiges Strukturgefüge an. Ab 800°C setzt ein Schrumpfungsprozess ein. Dabei kann ein Knochen um 12% schrumpfen. Zusätzlich verformen sie sich. Allerdings wird das Knochenmaterial bei über 900°C durch einen Sinterungsprozess wieder stabil.

 

1630°C
Der Knochenschmelzpunkt ist erreicht. Eine vollständige Zersetzung ist die Folge. Diese Hitze konnten prähistorische Scheiterhaufen allerdings nicht erreichen.

Lage im Scheiterhaufen

Die Färbungen der Knochen im Leichenbrand sind nicht einheitlich. Wenn ein Leichnam auf einem Scheiterhaufen verbrannt wurde, war die Hitzeeinwirkung nicht gleichmäßig. Das Feuer im Zentrum war heißer als die Flammen im Randbereich. Durch die Färbung der Knochen kann man also Rückschlüsse auf ihre Position im Scheiterhaufen ziehen und natürlich auf die Temperatur, der sie ausgesetzt gewesen sein müssen. Je nach der Tageszeit, der verwendeten Holzart, der Windstärke und dessen Richtung konnten Scheiterhaufen eine Hitze von 900-1000°C erreichen.

Zähne im Leichenbrand

Bei einer Hitze von 200-250°C verfärben sich Zähne. Ab 400°C bilden sich Risse und ab 600°C springen die Kronen der bereits durchgebrochenen Zähne ab. Anhand der Zahnwurzeln kann dennoch erkannt werden, um welchen Zahn es sich handelt. Schneide- und Eckzähne haben eine, Prämolare zwei und Molare (Backenzähne) drei Wurzeln. Bei einer Temperatur von mehr als 800°C werden Zähne vollständig zerstört.

Nicht alle Zähne brechen sofort durch. Jeder von uns hat anfangs ein Milchgebiss, dem ein bleibendes Gebiss folgt. Im Alter von 6-12 Jahren (Infans 2) bricht der erste Molar durch. Bei Jugendlichen im Alter von 12-18 Jahren (Juvenis) bricht der zweite Molar durch. Zwischen dem 18 und dem 30 Lebensjahre (Adultus) brechen die dritten Molare – die Weisheitszähne – durch. Angenommen in einem Leichenbrand sind alle durchgebrochnen Zähne enthalten, dann kann man allein hiermit eine erste Altersdiagnose durchführen.

Alter und Geschlecht

Altersbestimmung

1. Die Schließung der Wachstumsfugen wird zur Bestimmung des Sterbealters verwendet. Bei Jugendlichen, deren Gelenkköpfe noch nicht vollends mit dem Schaft verwachsen sind (Epiphysenschließung), brechen die Gelenkköpfe ab in einem temperaturbedingten Spreizprozess. Abhängig vom Erhaltungsgrad kann man demnach noch das ungefähre Alter des Toten bestimmen.

2. Bei Erwachsenen sind die Schädelnähte (Kranz- & Kreuznaht) zur Bestimmung des Skelettalters wichtig. Allerdings sind die Verwachsungsspuren auf der Schädelinnenseite zuverlässiger als diejenigen außen. Bei Erwachsenen eignen sich ebenfalls die Schambeinfugen zur Altersbestimmung. Sie durchgehen im Leben nämlich 5 Stadien. Jedes davon kennzeichnet sich durch eine andere Oberflächenstruktur.

Auch die oberen (proximalen) Enden vom Oberschenkelknochen (Femur) und vom Oberarm (Humerus) können zur Altersdiagnose herangezogen werden. Die Dicke der Kompakta (Knochenwand) nimmt mit dem Alter ab und die Markkuppe wandert gen proximal.

 

Diagnose des Geschlechts

Grazile Knochen können um 25% schrumpfen. Ein erfahrener Anthropologe kann daher schon beim Anblick der Knochen eine grobe Vermutung bezüglich des Geschlechts anstellen. Die Dicke der Schädelkalotte und der Knochen bieten weitere Möglichkeiten zur Diagnose. Die Bestimmung des Geschlechtes erfolgt nach denselben Kriterien wie bei Körpergräbern. Der Unterschied besteht allein darin, dass man es bei Leichenbränden mit Knochenfragmenten zu tun hat.

Verwendete Literatur

Autor Titel Seite
Brothwell Digging Up Bones: The Excavation, Treatment, and Study of Human Skeletal Remains 14-16
Großkopf Leichenbrand. Biologisches und kulturhistorisches Quellenmaterial zur Rekonstruktion vor- und frühgeschichtlicher Population und ihrer Funeralpraktiken  
Häßler Ein Urnenfriedhof der vorrömischen Eisenzeit bei Soderstorf, Kreis Lüneburg, in Niedersachsen. -
Hermann et al. Prähistorische Anthropologie: Leitfaden der Feld- und Labormethoden 256-275
Mays Archaeology of Human Bones 207-224
Rösing Methoden und Aussagemöglichkeiten der anthropologischen Leichenbrandbearbeitung. Archäologie und Naturwissenschaften 1, 1977 53–80
Schmidt Analysis of Burned Human Remains 1-13, 75-94
Wahl Leichenbranduntersuchungen Ein Überblick über die Bearbeitungs- und Aussagemöglichkeiten von Brandgräbern. Prähistorische Zeitschrift, Bd. 57, Heft 1 2-118
Wahl Beobachtungen zur Verbrennung menschlicher Leichname. Archäologisches Korrespondenzblatt 11, 1981 271–280.
White & Folkens The Human Bone Manual 363-406

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