Der Neandertaler

Der Schädel eines 200.000 Jahre alten frühen Neandertalers aus der Höhle von Petralona, Griechenland. Zeichnung © Jan Miera 2011.

“Neandertaler“ ist die umgangssprachliche Bezeichnung für Homo neanderthalensis king. Dieser fossile Mensch lebte in der Zeit zwischen 300.000 und 30.000 vor heute in Europa und Eurasien. Homo neanderthalensis hat sich graduell aus dem Homo heidelbergensis entwickelt und ist kein direkter Vorfahre des Homo sapiens. Zu den letzten gemeinsamen Vorfahren von Homo sapiens und Neandertalern gehört sehr wahrscheinlich eine Homo erectus Population, die um ca. 600.000 vor heute existierte. Nach dem Eintreffen des anatomisch modernen Menschen in Europa um 40.000 vor heute lebten beide für mehrere Jahrtausende neben- und miteinander in Europa. Um kurz nach 30.000 vor heute stirbt der Homo neanderthalensis aus. Die Gründe für das Aussterben sind nicht vollends geklärt und werden seit Jahrzehnten von Anthropologen und Archäologen erforscht. Genetische Untersuchungen konnten aufzeigen, dass es sexuellen Kontakt zwischen Homo neanderthalensis und Homo sapiens gab. So stammt das Genom aller Europäer zu 1 bis 3% vom Neandertaler.  

Fundorte / Verbreitung der Neandertaler

Verbreitungskarte von Neandertalern
Copyright © Jan J. Miera 2013. An den markierten Fundplätzen wurden Skelette/Zähne/Knochen von Neandertalern gefunden. Die Literatur zu dieser Karte kannst Du in der Bilderdatenbank nachlesen. Wenn Du dort nach "Neandertaler" oder "Verbreitungskarte" bzw. "Mittelpaläolithikum" suchst, wirst du diese Karte finden.

Lebensweise der Neandertaler

Petralona-skull
Die zusammengesetzten Schädelfragmente eines klassischen Neandertalers aus Saint Césaire, Frankreich (36,300 ± 2,700 BP). Zeichnung © Jan Miera 2011

Neandertaler lebten als mobile Jäger- und SammlerInnen im eiszeitlichen Europa. Vergleicht man die Größe von Fundplätzen des Homo neanderthalensis und die Anzahl an vorhandenen Feuerstellen zum Wärmen während des Schlafes mit den "Fundplätzen" rezenter Jäger- und Sammmlerinnengesellschaften, so ist davon auszugehen, dass Neandertaler sich in 12 bis 25köpfigen Gruppen organisierten. Als Unterkünfte dienten Höhlen, Abris und Zeltkonstruktionen auf Freiland- und in Höhlefundplätzen. Alle bisher durchgeführten Isotopenanalysen haben ergeben, dass auf dem Speiseplan an erster Stelle Fleisch von terrestrischen Säugetieren stand. Dazu gehörten mitunter der Rothirsch, das Pferd und das wollige Nashorn. Pflanzen machten nur einen geringen Anteil ihrer Nahrung aus. Obwohl Neandertaler ein weites Verbreitungsgebiet und damit die Möglichkeit auf unterschiedliche Ernährungsweisen gehabt hatten, bevorzugten sie jederorts überwiegend Fleisch.  

 

Er ist der erste Vertreter der Gattung Homo, dessen Funde/Befunde gesicherte Rückschlüsse auf zwischenmenschliche Fürsorge in sozialen Verbänden zulassen. Auch Hinweise auf erste Bestattungen sind bekannt - zumindest werden einige Fundplätze in diesem Kontext diskutiert. Es wurden Neandertalerskelette gefunden (Régourdou, Kebara, St. Césaire, La Ferrassie, Shanidar und Teshik Tash), die derart im Boden eingelagert waren, dass von einer absichtlichen Positionierung des Körpers in dieser Lage ausgegangen und somit von einer Bestattung gesprochen werden kann.  

 

Andere Skelette von sehr alten Neandertalern weisen Spuren von Krankheiten und anderen körperlichen Gebrechen auf. Gerade bei diesen Individuen muss davon ausgegangen werden, dass sie auf die Hilfe ihrer Gruppe angewiesen waren. Anscheinend hat man sich umeinander gekümmert, denn ansonsten wären die betroffenen Neandertaler nicht so alt geworden. Es gibt beispielsweise einige Beweise für gebrochene Knochen, die wieder verheilt sind. Auch Funde von Neandertalern mit sehr wenigen Zähnen sind bekannt. Unter derartigen Umständen waren die geschwächten Neandertaler vom Wohlwollen ihrer Angehörigen abhängig. Sie mussten versorgt und gepflegt werden. 

 

Bei DNA-Untersuchungen an Neandertalern aus der Höhle von El Sidrón und Monti Lessini konnte das MC1R-Gen (Melanocortin-1-Rezeptor) nachgewiesen werden. Dieses Gen hat einen wesentlichen Einfluß auf die Pigmentierung von der Haut- und Haarfarbe. Im Bezug auf Neandertaler konnte festgestellt werden, dass zumindest die untersuchten Individuen eine helle Hautfarbe und rötliche Haare hatten. Auch konnte durch das TAS2R38-Gen bewiesen werden, dass Neandertaler bitteren Geschmack empfinden konnten.

Vergleich des Speiseplans von Neandertaler_Innen und Hyänen vor 36.000 Jahren, Saint Césaire.

Beutetier Neandertaler Hyäne
Bovinae bis zu 25% bis zu 25%
Große Säugetiere (über Rehgröße) bis zu 25% bis zu 25%
Pferd 70 bis 85% 70 bis 85%
Rentier weniger als 5% 5 bis 40%
Rhinozeros bis zu 60% weniger als 20%
Mammut bis zu 70% weniger als 15%
Harvé Bocherens et al., Isotopic evidence for diet and subsistence pattern of the Saint-Césaire I Neanderthal. Review and use of a multi-source mixing model . Journal of Human Evolution 49 (2005) 71-87.    

Anthropologische Hinweise auf Gewalt und Leichenzerstückelung

Spuren von (tödlicher) Gewalt, die nur von anderen Menschen verursacht werden konnte, konnten für einige Fundplätze mit sterblichen Überresten von Neandertalern nachgewiesen werden. Dazu gehören überwiegend perimortale Frakturen am Schädel, welche durch Hieb- oder Schlagverletzungen verursacht wurden. Perimortal heißt, dass diese um den Todeszeitpunkt herum zugefügt wurden als die Knochen noch elastisch und frisch waren. Sie könnten die Todesursache sein. Wir wollen uns dies an einem Beispiel näher ansehen.

 

Der Schweizer Archäologe Otto Hauser entdeckte 1908 bei Le Moustier (Dordogne) mehrere Knochen eines Neandertalers. Die Knochen legte er nur kurz frei und schüttete sie gleich wieder zu, um sie noch drei Mal für angereiste Experten freizulegen. Der Befund wurde als eine liebevolle Bestattung eines noch sehr jungen Neandertalers in Schlafposition gedeutet. Bei den Knochen wurden einige Silexartefakte und Tierknochen gefunden. Man war sich sicher, dass dies Grabbeigaben sein sollten. Angeblich sind bei der Freilegung einige der Knochen zu Staub zerfallen. Bis heute weiß man nicht, wie viele Knochen dort wirklich gefunden wurden. Das betrifft sowohl den Homo neanderthalensis als auch die Faunenreste. Eine neue Untersuchung des Befundes von Le Moustier durch den Anthropologen Herbert Ullrich kam zu einem anderen Ergebnis. Mit dem Individuum wurde alles andere als mitmenschlich umgegangen. Es handelt sich keineswegs um eine liebevolle Bestattung, sondern um die Deponierung eines geköpften und zerstückelten Leichnams.  

 

Der Schädel von Le Moustier weist Spuren von Gewalt auf. Eine große Fraktur mit radiären und zirkulären Brüchen ist am rechten Scheitelbein erkennbar. Auch über dem linken Auge ist ein Defekt des Knochens erkennbar. Zum einen wurde mit einem Schlag ein Knochenstück abgeschlagen. Der Schlag war so stark, dass dem Schädel ein weiter Bruch zugefügt wurde, der sich über die Stirn erstreckt. Damit steht fest, dieses Individuum wurde mit Schlägen auf den Kopf getötet. Das ist aber nicht alles. Die Ansatzstellen für den Halswendemuskel sind beschädigt. Der rechte Warzenfortsatz fehlt und der linke ist beschädigt. Aus dieser Beobachtung ist eine intentionelle Dekapitation - d.h. ein Abtrennen des Kopfes - erkennbar. Schnittspuren auf der Stirn und am Unterkiefer belegen eine Zerstückelung des Leichnams. Außerdem fehlt der linke Muskelfortsatz am Unterkiefer. Er wurde gewaltsam vom Schädel entfernt.

Zahnwachstum der Neandertaler

Im Vergleich zu anatomisch modernen Menschen brachen bei Neandertalern die Zähne etwas früher durch. Das heißt, dass sie auch eher erwachsen gewesen sein könnten als wir. Bei Neandertalerkindern bildeten sich die Zahnkronen des ersten Molars bereits mit 2,5 Jahren. Bei modernen Menschen dagegen ist dies erst mit ca. 3 Jahren der Fall. Bei der Entwicklung des zweiten Molars waren sie sogar noch schneller. Dieser brach bereits bei einem 8 jährigen Neandertalerkind hervor - bei modernen Menschen passiert das zwischen 10 und 12 Jahren.

Daraus kann man schließen, dass sie rein körperlich früher ausgewachsen waren als "wir". Dies bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass sie auch in sozialer Hinsicht eher als erwachsen angesehen wurden innerhalb ihrer Gruppe. In dieser muss noch weiter geforscht werden, bevor man hier konkrete bzw. sichere Aussagen treffen kann.

Körperbau der Neandertaler

Neandertaler hatten eine markante Erscheinung: große Augenhöhlen und darüber einen großen so genannten Torus supraorbitalis (Überaugenwulst). Diese Überaugenwulst war aber nicht bei Kindern von Neandertalern vorhanden, sondern bei erwachsenen Individuen. Das Gebiss prägten schaufelförmige Schneidezähne. Der Körperbau zeichnete sich durch robuste gebogene Langknochen aus, die darauf hinweisen, dass er extrem stark gewesen sein muss - obgleich Neandertaler eine geringe Körpergröße von 1,5 bis 1,6m hatten. Der Körperbau weist zudem eine Anpassung an  kaltes Klima auf. Sein anatomisch modernes Zungenbein erlaubte ihm (theoretisch), eine eigenständige differenzierte Sprache zu entwickeln. DNA-Analysen haben zudem gezeigt, dass der Homo neandertalensis ein und dasselbe Sprachgen wie der Homo sapiens besitzt.

Tabelle 1: Morphologie beim Homo sapiens und Homo neanderthalensis

Morphologie Homo sapiens Homo neanderthalensis
Schädel glatte Seiten wulstige Seiten
Schädelvolumen 1560 ccm / bei rezenten Menschen 1340 1245-1750 ccm
Hinterhauptregion rundlich gewölbt
Überaugenwulst schwach dick und gebogen
Nase und mittleres Gesicht flach vorspringend
Schneidezähne klein groß und schaufelförmig
Kinn vorstehend nicht vorstehend, eher fliehend
Brustkorb eng breit
Hüfte klein und schmal groß und weit
Langknochen gerade leicht gebogen
Entwicklung von Zähnen und Knochen langsam relativ schnell

Verwendete Literatur

Autor Titel Seite
Auffermann/Orschiedt Die Neandertaler: Auf dem Weg zum modernen Menschen 47-95
Badisches Landesmuseum Ur- und Frühgeschichte: Führer durch die archäologische Abteilung 21-26
Cunliffe The Oxford Illustrated History of Prehistoric Europe (Oxford Illustrated Histories) 5-42
Currat/Excoffier Strong reproductive isolation between humans and Neanderthals inferred from observed patterns of introgression. PNAS 108/37, 2011 15129–15134.
Green et al. Analysis of one million base pairs of Neanderthal DNA. Nature Vol. 444, 16 November 2006 330-336.
Hayden Neanderthal social structure? Oxford Journal of Archaeology 31, 2012 1-26
Henke / Rothe Stammesgeschichte des Menschen: Eine Einführung 153
Klein The Human Career: Human Biological and Cultural Origins 435-615
Keefer Steinzeit 37-48
Lalueza-Fox et al. Bitter taste perception in Neanderthals through the analysis of the TAS2R38 gene. Biol. Lett. published online 12 August 2009 -
Prüfer et al. The complete genome sequence of a Neanderthal from the Altai Mountains. Nature 505, 2013 43-49.
Schmitz Neanderthal 1856-2006 -
Schrenk Die Frühzeit des Menschen 104,110-123
Ullrich Le Moustier - eine Neuinterpretation des Neandertalerfundes von 1908. Ethnographisch-Archäologische Zeitschrift 44, 2003 337-355

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