Nachdem im 19. Jahrhundert die wesentlichen Grundsteine der Prähistorischen Archäologie gelegt und die ersten relativen Chronologiesysteme entwickelt wurden, konnten nach der Wende zum 20. Jahrhundert neue Fragen und Methoden diskutiert werden. So versuchte etwa der deutsche Prähistoriker Gustaf Kossinna nach den "Urgermanen" zu suchen und arbeitete dazu an einem Kulturbegriff.
„Was ist eigentlich Kultur?“ fragte er sich und versuchte, einen deutschen Kulturbegriff zu definieren, auf dessen Grundlage er nach den Vorfahren und Ursprüngen der Deutschen in der prähistorischen Vergangenheit suchen wollte. Ob er es so wollte oder nicht, er legte damit den Grundstein für eine Reihe weiterer Versuche, das Fach für nationalistische Zwecke auszunutzen, wie es besonders während des Dritten Reiches getan wurde. Dort gründete man eigene Abteilungen wie etwa das SS-Ahnenerbe und weitere, um nach den Ariern in der Vergangenheit zu forschen.
Kossinna kam in seinem Überlegungen zu dem viel zitierten Satz: >>scharf umgrenzte archäologische Kulturprovinzen decken sich zu allen Zeiten mit ganz bestimmten Völkern oder Volkerstämmen.<<
Anders ausgedrückt: >>Kulturgebiete sind Völkerstämme.<<
Er begründete in diesem Zusammenhang eine "Siedlungsarchäologie", mit welcher er die Frage "wann lebte wer wo?" lösen wollte. Darüber hinaus schrieb er: >>Diese Methode bedient sich des Analogieschlusses, insofern sie die Erhellung uralter, dunkler Zeiten durch Rückschlüsse aus der klaren Gegenwart oder aus zwar noch alten, jedoch durch reiche Überlieferung ausgezeichneten Epochen vornimmt.<<
Seine ersten Ansätze zu dieser Siedlungsarchäologie haben wir gerade zitiert. Nachdem für ihn klar war, dass Kulturgebiete sich mit Völkerstämmen decken würden, fügte er hinzu, dass sich diese Völkerstämme durch ganz bestimmte anthropologische Merkmale als eigene Rassentypen zu erkennen geben würden. "Kulturvermischungen" oder >>Kulturübertragungen<< unterschiedlicher Stämme hielt er dabei für >>schwer denkbar<<, sodass es zwischen den vereinzelten Kulturen immer klare Grenzen ("Kulturprovinzen") gegeben haben müsse. Zudem schloss er einen Handel zwischen den "Kulturprovinzen" aus, weil >>ein solch weitgetriebener Handel und Verkehr wäre ja ohnehin schon für die Vorzeit ein Unding.<<
Aber nicht nur die körperlichen Charakteristika würden einen Volksstamm ausmachen, sondern auch sein für ihn typisches Fundmaterial aus Gräbern.
Kossinna hat nie daran gedacht, eine Siedlung auszugraben wie es der Begriff "Siedlungsarchäologie" eigentlich vermuten lässt, sondern sich nur an Gräberfeldern und deren Inventaren orientiert und im Sinne seiner Zeit diverse Rassen zu unterscheiden versucht, was sich durch Worte wie >>Rassenabart<<, >>Rassengeschichte<< oder >>Rassenzugehörigkeit<< schnell dem Lesenden aufdrängt.
Eine erfolgreiche Suche nach den Urgermanen stellte er sich wie folgt vor. Er las Berichte alter antiker Historiker, die man halbwegs genau datieren konnte, über die Aufenthaltsorte der Germanen, Gallier etc. Schließlich prüfte er, ob sich in den beschriebenen Gebieten einheitliche Fundmaterialien in den Gräberfeldern entdecken ließen und verfolgte mittels >>typologischer Umschreibungen<<[J] die zeitlich-räumliche Ausdehnung der jeweiligen Kultur in die Vergangenheit zurück.
Heute definiert sich zum einen die Siedlungarchäologie ganz anders (siehe Wiki) und zum anderen sind Kossinnas Thesen und Vorstellungen von forschungsgeschichtlichem Interesse. Seine im Rassismus mündenden Gedanken erreichten im Dritten Reich ihren "Höhepunkt" und belasteten noch lange Zeit danach das Ansehen des Studienfaches.
Kossinnas Siedlungsarchäologie beruht nicht nur auf vollkommen unbegründeten rassistischen Völkervorstellungen sondern auch auf sehr vielen unbewiesenen Behauptungen - von klaren Definitionen ganz zu schweigen.
Autor | Titel | Seite |
---|---|---|
Eggers | Einführung in die Vorgeschichte | 238-255 |
Eggert | Archäologie. Grundzüge einer historischen Kulturwissenschaft | 211-219, 256f. |
Trachsel | Ur- und Frühgeschichte | 27 |
Kossinna | Die Herkunft der Germanen (Leipzig 1920) | 1-31 |
Bernbeck | Theorien in der Archäologie (Uni-Taschenbücher S) | 26-31 |
Hahn | Materielle Kultur: Eine Einführung | 152-157 |
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