Gustaf Kossinna

Gustaf Kossinna
Gustaf Kossinna (1858-1931). Ausschnitt eines Gemäldes von Bruno-Dietrich Sassnick (1874-1938). Quelle: Wikimedia.commons

Nationale Ansätze

Nachdem im 19. Jahrhundert die wesentlichen Grundsteine der Prähistorischen Archäologie gelegt und die ersten relativen Chronologiesysteme entwickelt wurden, konnten nach der Wende zum 20. Jahrhundert neue Fragen und Methoden diskutiert werden. So versuchte etwa der deutsche Prähistoriker Gustaf Kossinna nach den "Urgermanen" zu suchen und arbeitete dazu an einem Kulturbegriff.

„Was ist eigentlich Kultur?“ fragte er sich und versuchte, einen deutschen Kulturbegriff zu definieren, auf dessen Grundlage er nach den Vorfahren und Ursprüngen der Deutschen in der prähistorischen Vergangenheit suchen wollte. Ob er es so wollte oder nicht, er legte damit den Grundstein für eine Reihe weiterer Versuche, das Fach für nationalistische Zwecke auszunutzen, wie es besonders während des Dritten Reiches getan wurde. Dort gründete man eigene Abteilungen wie etwa das SS-Ahnenerbe und weitere, um nach den Ariern in der Vergangenheit zu forschen.

Kossinna kam in seinem Überlegungen zu dem viel zitierten Satz: >>scharf umgrenzte archäologische Kulturprovinzen decken sich zu allen Zeiten mit ganz bestimmten Völkern oder Volkerstämmen.<<

Anders ausgedrückt: >>Kulturgebiete sind Völkerstämme.<<

Er begründete in diesem Zusammenhang eine "Siedlungsarchäologie", mit welcher er die Frage "wann lebte wer wo?" lösen wollte. Darüber hinaus schrieb er: >>Diese Methode bedient sich des Analogieschlusses, insofern sie die Erhellung uralter, dunkler Zeiten durch Rückschlüsse aus der klaren Gegenwart oder aus zwar noch alten, jedoch durch reiche Überlieferung ausgezeichneten Epochen vornimmt.<<
Seine ersten Ansätze zu dieser Siedlungsarchäologie haben wir gerade zitiert. Nachdem für ihn klar war, dass Kulturgebiete sich mit Völkerstämmen decken würden, fügte er hinzu, dass sich diese Völkerstämme durch ganz bestimmte anthropologische Merkmale als eigene Rassentypen zu erkennen geben würden. "Kulturvermischungen" oder >>Kulturübertragungen<< unterschiedlicher Stämme hielt er dabei für >>schwer denkbar<<, sodass es zwischen den vereinzelten Kulturen immer klare Grenzen ("Kulturprovinzen") gegeben haben müsse. Zudem schloss er einen Handel zwischen den "Kulturprovinzen" aus, weil >>ein solch weitgetriebener Handel und Verkehr wäre ja ohnehin schon für die Vorzeit ein Unding.<<

Aber nicht nur die körperlichen Charakteristika würden einen Volksstamm ausmachen, sondern auch sein für ihn typisches Fundmaterial aus Gräbern.
Kossinna hat nie daran gedacht, eine Siedlung auszugraben wie es der Begriff "Siedlungsarchäologie" eigentlich vermuten lässt, sondern sich nur an Gräberfeldern und deren Inventaren orientiert und im Sinne seiner Zeit diverse Rassen zu unterscheiden versucht, was sich durch Worte wie >>Rassenabart<<, >>Rassengeschichte<< oder >>Rassenzugehörigkeit<< schnell dem Lesenden aufdrängt.


Eine erfolgreiche Suche nach den Urgermanen stellte er sich wie folgt vor. Er las Berichte alter antiker Historiker, die man halbwegs genau datieren konnte, über die Aufenthaltsorte der Germanen, Gallier etc. Schließlich prüfte er, ob sich in den beschriebenen Gebieten einheitliche Fundmaterialien in den Gräberfeldern entdecken ließen und verfolgte mittels >>typologischer Umschreibungen<<[J] die zeitlich-räumliche Ausdehnung der jeweiligen Kultur in die Vergangenheit zurück.

Kritik an Kossinnas Siedlungsarchäologie

Heute definiert sich zum einen die Siedlungarchäologie ganz anders (siehe Wiki) und zum anderen sind Kossinnas Thesen und Vorstellungen von forschungsgeschichtlichem Interesse. Seine im Rassismus mündenden Gedanken erreichten im Dritten Reich ihren "Höhepunkt" und belasteten noch lange Zeit danach das Ansehen des Studienfaches.

Kossinnas Siedlungsarchäologie beruht nicht nur auf vollkommen unbegründeten rassistischen Völkervorstellungen sondern auch auf sehr vielen unbewiesenen Behauptungen - von klaren Definitionen ganz zu schweigen.

  1. Sein Begriff der "Kulturprovinzen" wird nur annährend klar definiert, es sollen Gegenden mit einem einheitlichen archäologischen Fundmaterial sein.

  2. Für seine Behauptung, es gäbe unterschiedliche Rassentypen und von Volksstamm zu Volksstamm andere markante anthropologische Merkmale, um diese voneinander zu differenzieren zu können, nennt er kein Beispiel.

  3. Desweiteren geht er davon aus, dass es weder "Kulturvermischungen", >>Kulturübertragungen<< noch einen Handel gegeben habe. Wir können heute sehr wohl beweisen, dass es gerade im Neolithikum an Handel und gegenseitige Einflüsse gegeben hat. Für den Handel wären da nur die beliebten und über weite Räume verbreiteten Spondylusmuscheln zu nennen oder etwa Idole wie Buckelscheiben, die mehrere Kulturen miteinander verbinden.
     
  4. Er spricht von einer Siedlungsarchäologie, gräbt aber nur Gräberfelder aus.

  5. Er zieht literarische Quellen ohne jegliche Kritik(!) zur Unterstützung seiner Methode herbei und zeichnet auf deren Basis Karten, in denen nun die erwähnten "Kulturprovinzen" zu finden seien. Zum einen müssen Textquellen auf ihre Zuverlässigkeit geprüft werden und zum anderen ist es ihm egal gewesen, ob seine Textquellen in einem Zeitraum von 200 Jahren geschrieben wurden oder nicht. Er glaubt, dass er mittels dichter und zahlreicher literarischer Überlieferungen aus einer Zeit, eine Kultur festmachen könne. Er kann auf einem Gräberfeld aber nicht sicher  sagen, dass er genau die Kultur vor sich hat, die in seinen Quellen erwähnt wurde.

  6. Für seine >>typologischen Umschreibungen<< zur Rückverfolgung von Kulturen gibt er keine Beweise.

Verwendete Literatur

Autor Titel Seite
Eggers Einführung in die Vorgeschichte 238-255
Eggert Archäologie. Grundzüge einer historischen Kulturwissenschaft 211-219, 256f.
Trachsel Ur- und Frühgeschichte 27
Kossinna Die Herkunft der Germanen (Leipzig 1920) 1-31
Bernbeck Theorien in der Archäologie (Uni-Taschenbücher S) 26-31
Hahn Materielle Kultur: Eine Einführung 152-157

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