Die Geburt des Menschen

James Ussher
Der Theologe James Ussher (1581–1656). Quelle: Wikimedia.commons.

Während sich viele Historiker des 17. Jahrhunderts mit der Art der Entstehung urgeschichtlicher Phänomene, wie etwa den Großsteingräbern, beschäftigten, verfolgte der Theologe James Ussher ein anderes Ziel. Der englische Erzbischof machte nämlich sich daran, das Alter der Menschheit zu bestimmen. Eine wahrlich epische Aufgabe - könnte man meinen. Für den Geistlichen jedoch ein Katzensprung. Dazu brauchte er lediglich drei Dinge: mathematische Grundkenntnisse, die Bibel und etwas Zeit. Die in der Bibel erwähnten Stammbäume des Menschen dienten ihm als Hauptquelle für seine Berechnungen. 

Nach einiger Zeit stand für ihn fest, dass die Menschheit am Freitag, den 28. Oktober im Jahr 4004 v. Chr. erschaffen worden sei. Das errechnete Jahr passte auch gut zu dem, was Martin Luther einst vermutet hatte. Er ging davon aus, dass der Mensch um 4000 v. Chr. das Licht der Welt erblickt haben soll.  Der Rektor von der Universität Cambridge, John Lightfoot, kam nach seinen eigenen Berechnungen einem anderen Schluss. Der Mensch sei keineswegs am 28. Oktober 4004 v. Chr. erschaffen worden. Es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits der 23. Oktober desselben Jahres gewesen - nämlich um 9 Uhr morgens. Die Berechnungen von Ussher und Lightfoot zeigen, wie sehr der Glaube an die Korrektheit und Unfehlbarkeit der Bibel in den Köpfen der Menschen fest saß. Sie wurde für bare Münze genommen und so gedeutet, wie sie Wort für Wort niedergeschrieben war.

 

Aus der Sicht der Kirche war das Alter der Menschheit noch sehr jung. Heute wissen wir, dass die ersten Zeugnisse des Menschen über eine Millionen Jahre alt sind. Wir lachen über dieses junge Datum. Noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war es das genaue Gegenteil. Ein dermaßen hohes Alter der Menschheit war vollkommen absurd und wer dies dennoch behauptete, der fand keine Fürsprecher. Vielmehr sahen sich Forscher mit solchen Ansichten, wie etwa Boucher de Perthes, einer anders denkenden Mehrheit gegenüber. Es wurde solange an dem Jahr 4004 v. Chr. festgehalten, bis die entsprechenden Gegenargumente eine Fülle erreicht hatten, die man nicht mehr ignorieren konnte. 

Saxo Grammaticus und die Urzeitriesen

Maisod Monument
Im Zuge der Christianisierung wurden viele "heidnische" Monumente mit christlichen Symbolen versehen wie hier ein Megalithgrab bei Maisod (Frankreich). Abb. 61 aus Gabriel de Mortillet, L'Homme préhistorique (Paris 1903).

Neben den "Donnerkeilen" und Urnen begegneten den Menschen noch viel früher die wirklich offenkundigen prähistorischen Hinterlassenschaften wie zum Beispiel die Großsteingräber (Megalithengräber; mégas (μέγας ) für ‚groß‘ und líthos (λίθος) für Stein), die auch zunächst gelegentlich als Riesengräber bezeichnet wurden. Der Däne Saxo Grammaticus berichtete schon im frühen 12. Jahrhundert von diesen auffälligen Steinanordnungen und vermutete richtigerweise, dass diese nicht auf natürliche Weise zustande gekommen sein konnten, sondern dass nur Menschen dazu in der Lage gewesen sein könnten. Aufgrund der außerordentlichen Größe der Steine kam er aber zu dem Schluss, dass es sich um von Riesen gebaute Gräber handeln müsste, die vor den Menschen auf der Erde gelebt haben müssen, weil ein normaler Mensch nicht genügend Kraft besitze, um diese riesigen Steine heben zu können. Derselben Meinung war einige hundert Jahre später auch noch der niederländische Historiker John Picardt um 1660.

 

Auf die Idee mit den Riesen, so abwegig wie sie auch klingen mag, kam man allerdings nicht aus heiterem Himmel. Der Grund waren Funde von übergroßen Knochen, die man fälschlicher weise für menschliche Knochen hielt und daraus den Schluss zog, dass es vorzeitliche riesenhafte Menschen gegeben haben musste. In Wirklichkeit muss es sich hierbei um vereinzelte Mammutknochen gehandelt haben. Wenn man diese Funde macht, ohne dabei auf ein gesamtes Skelett eines solchen Tieres zu stoßen, dann konnte man damals durchaus zu derartigen Schlussfolgerungen kommen - besonders wenn Aberglaube und mythische Urzeitvorstellungen sich mit Rationalität vermischten. Aus heutiger Sicht lacht man gerne über diese Gedanken aber wenn man die mangelnden wissenschaftlichen Kenntnisse und skurrilen Weltvorstellungen des ein oder anderen Zeitgenossen bedenkt, waren Riesen eine noch recht harmlose und "rationale" Deutung.

Die Herkunft der großen Steine

Die großen Steine, welche später zum Bau der Großsteingräber verwendet wurden, werden Findlinge genannt. Die Findlinge sind mit den Vorstößen der Eiszeiten mit den riesigen Gletschern von Skandinavien aus nach Europa transportiert worden. Sie gelangten bis nach Norddeutschland, weshalb man auch deswegen gerade sehr viele solcher Steinanordnungen in Niedersachsen, Schleswigholstein, Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg findet. Diese Riesensteine wurden aber nicht nur für den Bau von Gräbern verwendet, sondern auch einfach in langen Reihen (Megalithalleen bei Carnac, Bretagne, Frankreich) oder Kreisen aufgestellt wie etwa in Stonehenge oder der Steinkreis der Merry Maidens (Cornwall, Südwest England).

Ole Worms Interpretation der Großsteingräber

Im 17. Jahrhundert wusste auch der eben erwähnte Ole Worm von diesen großen Steinanlagen zu berichten. In seinem Buch Monumenta Danica von 1643, also knapp 20 Jahre vor dem Niederländer John Picardt, deutete er sie als "Thingplätze der Urzeit, wo Recht und Gesetz gesprochen wurde." Weitere Vorschläge von ihm waren, dass man diese riesigen Steinanordnungen als Kampfplätze für Duelle genutzt haben könnte oder dass es Orte gewesen sein könnten, an denen man Könige gewählt oder den Göttern geopfert habe. Auf jeden Fall sprach er diesen Orten eine besondere symbolische und kulturelle oder religiöse Bedeutung zu und diskutierte nicht über Riesen, die diese Steine so angeordnet hätten.


Es ist eine verwunderliche Besonderheit dieser Zeit, dass sich einerseits Männer wie Worm oder Picardt andererseits mit guten gedanklichen wissenschaftlichen Ansätzen mit den vorliegenden Altertümern auseinander setzen wollten aber auf der anderen Seite doch zu recht kuriosen Ergebnissen und Erklärungen kamen.

Jacob Spon und das moderne Verständnis von Archäologie

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Jacob Spon (1647-1685). Quelle: Wikimedia.commons.

Im 17. Jahrhundert begann sich die Herangehensweise an die Altertümer zu verändern. Gelehrte Entwickelten eine neue Haltung zu den materiellen Hinterlassenschaften aus Europas Vergangenheit. Hatte man bis dahin überwiegend versucht, sich über antike Schriftzeugnisse und Inschriften den ehemaligen Gesellschaften anzunähern, erkannten die Antiquare zusehends den Wert von Artefakten selbst. Dieses Umdenken führte auch zu einem neuen Verständnis des Wortes „Archäologie“. Dieses geht ursprünglich auf „archaiologia“ zurück. Das erstmalige Auftreten dieses Begriffes datiert in das 4. Jahrhundert v. Chr. Verglichen mit der heutigen Verwendung von „Archäologie“ hatte „archaiologia“ zunächst eine andere Bedeutung. Darunter verstand man die Erforschung der jüngeren und nicht der prähistorischen Vergangenheit. Eine wissenschaftliche Basis gab es noch nicht. Hierzu wurden nämlich mündliche Traditionen wie Mythen und Legenden herangezogen. Auch materielle Hinterlassenschaften wurden in das Studium der Vergangenheit einbezogen. Es handelte sich dabei aber mehr um das Sammeln von Gegenständen, die durch ihren historischen Kontext eine besondere Bedeutung erlangten, zum Beispiel weil sie mal einem König oder einem mutmaßlichem Helden gehört hatten. Das Hauptinteresse lag in der Erstellung von Genealogien, und den Ursprüngen von diversen Personen, Institutionen und Kulten. Gleichermaßen waren die Gründungsdaten von Städten von Interesse.

 

Der französische Arzt und Antiquar Jacob Spon (1647-1685) prägte ein neues Verständnis von Archäologie. Spon war ein Kenner des griechischen Altertums und hatte sich auf Epigraphie (Erforschung antiker Inschriften) spezialisiert. Von daher stand er der heutigen Klassischen Archäologie weitaus näher als der Prähistorischen Archäologie. Den Begriff Archäologie verwendete er erstmals so wie er noch heute benutzt wird. Er verstand darunter nämlich die Untersuchung materieller Hinterlassenschaften, um so zu neuen Erkenntnissen über vergangene Gesellschaften zu gelangen. Für ihn war klar, dass er mehr über die Antike in Erfahrung bringen konnte, wenn er sich direkt mit Inschriften aus dieser Zeit befasste. Spon stand historischen Texten, die bis in seine Zeit irgendwie bzw. durch Abschreiben überliefert wurden, kritisch gegenüber. Für ihn waren sie keine Originalzeugnisse aus der Vergangenheit.

 

Dass sich auch in Deutschland eine neue Haltung zu materiellen Quellen entwickelte, zeigt beispielsweise die 1688 publizierten Grabungsanweisungen in deutscher Sprache. Das veränderte Bewusstsein von Archäologie führte schließlich dazu, dass vermehrt Ausgrabungen durchgeführt wurden. Bis dahin standen Untersuchungen von Texten und die Erfassung von öffentlich zugänglichen Baudenkmälern im Vordergrund.

Verwendete Literatur

Autor Titel Seite
H. J. Eggers Einführung in die Vorgeschichte 9-14
M. Trachsel Ur- und Frühgeschichte 17-20
B. G. Trigger A History of Archaeological Thought 45, 56
M. K. H. Eggert Archäologie: Grundzüge einer Historischen Kulturwissenschaft (Uni-Taschenbücher M) 40

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