Theorie in der Archäologie: Zur jüngeren Diskussion in Deutschland

Herausgeber: Manfred K. H. Eggert und Ulrich Veit, unter Mitarbeit von Melanie Augstein 

Kategorie: Sammelwerke

Verlag: Waxmann

Schwierigkeitsgrad: Fortgeschrittene 

Webseite: www.waxmann.com

erster Eindruck

Hervorragendes Sammelwerk zu jüngeren Theoriediskussion in Deutschland!

 

 

Beschreibung

Vor etwas mehr als zehn Jahren haben Manfred K. H. Eggert und Ulrich Veit eine Reihe angesehener ForscherInnen um sich versammelt, mit denen sie sich gemeinsam der englischsprachigen Theoriediskussion widmeten. Das Ergebnis war der erste Band der Tübinger Archäologischen Taschenbücher (TAT), der unter dem Titel „Theorie in der Archäologie: Zur englischsprachigen Diskussion“ publiziert wurde und den Auftakt zu einer einzigartigen Reihe bildete. Zur selben Zeit veröffentlichte Reinhard Bernbeck seine Monographie über „Theorien in der Archäologie“ (Bernbeck 1997). Beide Bücher markieren eine Wende in der Entwicklung der deutschsprachigen Archäologie. Diese hatte bis in die 1990er Jahre in einem auffallend geringen Umfang theoretische Diskurse hervorgebracht, so dass ihr gelegentlich sogar eine „Theoriefeindlichkeit“ attestiert wurde.

Das hat sich inzwischen geändert. Seit der Jahrtausendwende hat sich die Theoriediskussion hierzulande auf eine bisher nicht dagewesene Art und Weise so verdichtet, dass Eggert und Veit erneut mehrere Autoren um sich versammelten, um nun diese jüngere Diskussion entsprechend zu würdigen. Die meisten von ihnen hatten bereits am ersten Band der TAT mitgewirkt: Tim Kerig, Thomas Knopf, Martin Porr und Nils Müller-Scheeßel - Eggert und Veit natürlich auch. Neu hinzugekommen sind Kerstin P. Hofmann und Stefanie Samida.

In acht Kapiteln befasst das Autorenkollektiv mit Schlüsselbegriffen aus der Prähistorischen Archäologie: Kultur, Umwelt, Wirtschaft, Gesellschaft, Raum, Ethnizität, Kunst und Öffentlichkeit. Dass hierbei gelegentlich inhaltliche Überschneidungen aufkommen können, wurde von den Herausgebern „bewusst in Kauf genommen“ (Eggert/Veit 2013: 10).  

Die Struktur der Aufsätze ist dahingehend vereinheitlich worden, dass zu jedem der Forschungsbereiche eine Übersicht seiner langfristigen Entwicklung gegeben, die wichtigsten Beiträge aus den vergangenen 30 Jahren kritisch diskutiert und Perspektiven für die Zukunft erörtert werden (ebd. 10f.). Internationale Entwicklungen sollten berücksichtigt werden, sobald sie einen direkten Einfluss auf die deutschsprachige Theorienentwicklung hatten oder zukünftig eine bedeutsame Ergänzung der Forschung darstellen können.

Jedes Kapitel besitzt eine Zusammenfassung in deutscher und englischer Sprache. Der Umfang variiert von 29 bis 51 Seiten. Allerdings muss hier berücksichtigt werden, dass die Beiträge mit einem umfangreichen Apparat an Fußnoten und einem ebensolchen Literaturverzeichnis ausgestattet sind.

 

 

Die einzelnen Kapitel können im Folgenden inhaltlich nur angeschnitten werden, da eine detaillierte Ausführung den Rahmen einer Rezension überstrapazieren würde.   

 

Manfred K. H. Eggert widmet sich im ersten Kapitel unterschiedlichen Theoriekonzepten zum Kulturbegriff. Wie er selbst einleitend anmerkt, handelt es sich hierbei um einen der wichtigsten und häufigsten Begriffe aus der archäologischen Forschung, der paradoxerweise bis in die 1960er Jahre nur vereinzelt auf theoretischer Ebene reflektiert wurde (Eggert 2013: 14). Dieser Umstand ist wahrlich verwunderlich, weil doch „jeglicher Interpretation archäologischen sowie allen historischen Materials als Zeugnisse menschlichen Handelns […] zumindest implizit immer auch Aspekte einer Kulturtheorie zugrunde“ liegen (ebd. 26).

Nach einer einleitenden Charakterisierung des holistischen und partitiven Kulturbegriffes (ebd. 16-18), werden sechs unterschiedliche Perspektiven auf >Kultur< erörtert: eine konventionelle, eine funktionalistische, eine positivistische, eine historisch-diffusionistische, eine evolutionistische Sichtweise und abschließend der noch relativ junge semiotisch-kommunikationstheoretische Forschungsansatz. Eggert weist darauf hin, dass diese Systematisierung eine von vielen Möglichkeiten darstellt und keinerlei Originalität beansprucht (ebd. 15, 18).

Zur Diskussion der Kulturbegriffe greift er auf Beispiele aus der Forschungsgeschichte zurück. Dies ermöglicht ihm eine sehr anschauliche Vermittlung der Bedeutung des jeweiligen Denkansatzes. So werden Potential und Grenzen des konventionellen Kulturbegriffes beispielhaft durch Arbeiten von Vere Gordon Childe, Jens Lüning, Karl J. Narr, Klaus P. Hansen, Oliver Nakoinz ausgelotet. Insbesondere die sehr kritischen Arbeiten zum traditionellen archäologischen Kulturkonzept von Hans-Peter Wotzka werden von Eggert zustimmend zitiert (ebd. 22f.). Der Feststellung, „dass empirische archäologische Forschung aus sich selbst heraus keine kultur- und sozialwissenschaftlichen relevanten Kategorien hervorbringen kann“ (ebd. 25), wird man spätestens nach dieser Lektüre zustimmen. Er zeigt deutlich auf, dass auf der Basis archäologischer Quellen allein nur reduktionistische Kulturkonzepte mit einem begrenzten Potential formuliert werden können (ebd. 28). Deshalb liegt es für ihn auch nahe, dass die Archäologie aus ihrer Isolierung heraustreten und sich stärker mit  Wissenschaften befassen muss, „deren Quellenbasis einen mehr oder weniger direkten Zugriff auf die Lebenswirklichkeit ermöglicht – so sehr diese Quellen dann einer radikalen Kritik zu unterziehen sind“ (Eggert 2013: 25).   

Es würde zu weit führen, an dieser Stelle die Diskussionen der anderen Perspektiven auf den Kulturbegriff im Detail zu referieren – auch wenn wünschenswert ist. Es sei lediglich noch angemerkt, dass die Ausführungen zum funktionalistischen Kulturbegriff verständlicher gewesen wären, wenn Eggert hier ein konkretes archäologisches Beispiel angeführt hätte.

Dass den Theoriekonzepten jeweils unterschiedlich viel Platz eingeräumt wird, lässt sich mitunter auf die Masse an Publikationen hierzu zurückzuführen. So umfasst der Abschnitt zum evolutionistischen Kulturbegriff gerade einmal zwei Seiten, weil es in Deutschland nur sehr wenige Autoren gibt, die sich zu einer kulturevolutionistischen Konzeption bekennen. Nach einer knappen Erläuterung dessen, was hierunter zu verstehen ist und was nicht – „der evolutionistische Kulturbegriff impliziert keineswegs eine starre Abfolge von Stufen der kulturellen Entwicklung“ (ebd. 36) – bekennt sich Eggert schließlich selbst zu diesem Kulturkonzept (ebd. 36). Allerdings ist es angesichts dieser Tatsache umso erstaunlicher, dass der evolutionistische Kulturbegriff derartig knapp erörtert wird.

Wenn Eggerts Ausführungen eines mehr als deutlich zeigen, dann ist es die unabdingliche Notwendig der Selbstreflektion des eigenen theoretischen Standpunktes. Die Qualität der archäologischen Forschung steht und fällt mit den ihr zugrunde liegenden Theoriekonzepten. Darüber hinaus konnte anhand der Forschungsgeschichte zum Kulturbegriff trefflich gezeigt werden, wie gewinnbringend eine Berücksichtigung theoretischer Diskurse aus kulturwissenschaftlich-historischen Nachbarfächern sein kann. Der Ausweg aus der „erkenntnistheoretischen Sackgasse“ (ebd. 48) der Archäologie liegt in der analogischen Unterstützung ihrer kultur- und geisteswissenschaftlichen Nachbarfächer (ebd. 34, 36, 48, 50f.).

 

Thomas Knopf befasst sich mit Konzepten und Theorien zum Forschungsgegenstand >Umwelt<. Hierbei geht es ihm allerdings weniger um Methoden zur Umweltrekonstruktion, sondern „vielmehr darum, was diese Rekonstruktion über das Leben und Wirken der ja letztlich im Fokus der Ur- und Frühgeschichtlichen Archäologie stehenden Menschen aussagt“ (Knopf 2013: 64).

Einleitend stellt er zunächst fest, dass naturwissenschaftliche Rekonstruktionen in der archäologischen Praxis kaum mehr als eine „Hintergrundfolie“ (ebd. 64) sind, auf der Wirtschaft, Handel etc. in vergangener Zeit abspielten. Grundsätzlich sei eine „Kluft zwischen Rekonstruktion und Interpretation, zwischen natur- und kulturwissenschaftlichen Ansätzen“ festzustellen (ebd. 65). In den Erläuterungen der Begriffe Natur, Umwelt, Ressource und Landschaft hebt er hervor, dass Natur und Kultur keineswegs als Gegensätze zu denken sind. Auch Erfahrungen aus der Ethnologie zeigen schließlich, so Knopf, dass in vorindustriellen Gesellschaften eine strikte Trennung von Natur und Kultur nicht stattfindet. Vielmehr müsse man Natur als etwas verstehen, „das vom Menschen angeeignet worden ist, aber auch dessen Erfahrung mitkonstituiert hat“ (ebd. 66).

In dem forschungsgeschichtlichen Abriss der archäologischen Umweltforschung arbeitet er heraus, dass diese Sichtweise sich in der archäologischen Forschung erst sehr spät durchgesetzt hat. In siedlungsarchäologischen Arbeiten wurde bis in die 1970er Jahre hinein ein Bild vermittelt, nachdem eine „Kausalität zwischen ökologischen, Bedingungen und der Ausbildung von unterschiedlichen Kulturelementen“ bestand (ebd. 73). Die siedlungsarchäologischen Arbeiten zur Küstenforschung von Herbert Jankuhn und Georg Kossack markieren in dieser Hinsicht einen Wendepunkt. Im Rahmen des Nordsee-Programms rückten erstmals Fragen der Anpassung und Veränderung in den Vordergrund und das Bild des passiven, von der Natur dominierten Menschen aufgelockert (ebd. 74). Dennoch sei man bis heute nicht gänzlich von einem Determinismus abgerückt (ebd. 75, 79). Jüngere theoretische Diskurse aus der Siedlungs-, Landschafts- und Umweltarchäologie sowie Großprojekte und Dissertationen aus den letzten zwei Jahrzehnten zeigen indes eine Verlagerung hin zu einer Auseinandersetzung mit symbolischen, religiösen Aspekten der Landschafts- und Raumwahrnehmung (ebd. 76-85). Allerdings müsse die archäologische Umweltforschung verstärkt mit analogischen Vergleichen arbeiten und  theoretische Diskurse der Ethnologie berücksichtigen (ebd. 90). Dass ein solches Verfahren Früchte tragen kann, lässt sich mitunter an dem Projekt über Ökosysteme, Sozialstrukturen und Wirtschaftsweise im mittelalterlichen Altbaiern von Thomas Meier und Petra Tillessen aufzeigen. Ferner kann Knopf aus der im Projekt „Das menschliche Umweltverhalten: Eine Synthese archäologischer, naturwissenschaftlicher und ethnographischer Studien“ gesammelten Erfahrung hierüber selbst positiv berichten (ebd. 88).

Abschließend stellt er fest, dass es in der Umweltarchäologie trotz der beachtlichen Fortschritte in den letzten Jahrzehnten noch einen „Handlungsbedarf für theoretische und konzeptionelle Arbeit“ gibt (ebd. 91). Ferner müssten in Zukunft verstärkt Aspekte der Umweltverschmutzung und Nachhaltigkeit des ur- und frühgeschichtlichen Menschen untersucht werden (ebd. 91).

 

Der Beitrag „Mensch und Raum: Heutige Theorien und ihre Anwendung“ von Nils Müller-Scheeßel[1] knüpft thematisch an die Ausführungen von Thomas Knopf an. Nach einer Erörterung der Begriffe Siedlungs- und Landschaftsarchäologie (Müller-Scheeßel 2013: 103f.) werden vier „Denkstile“ (ebd. 103) vorgestellt, die sich in unterschiedlicher Weise an die Mensch-Raum-Beziehung annähern und jeweils spezifische Fragestellungen verfolgen. Müller-Scheeßel differenziert einen kulturhistorischen, einen naturräumlichen, einen funktionalistischen und einen phänomenologischen Denkstil. Sie alle seien wegweisend in der archäologischen Forschungsgeschichte, werden bis in die heutige Zeit hinein praktiziert und können gewinnbringend miteinander kombiniert werden.

Der kulturhistorische Ansatz versucht auf der Basis von Verbreitungskarten Geschichte zu schreiben und ist eng mit dem archäologischen Kulturbegriff verbunden (ebd. 105). Wie sich an den Arbeiten von Kossinna aufzeigen lässt, liegt „das eigentliche Problem des kulturhistorischen Ansatzes […] in der Interpretation der herausgearbeiteten Verbreitungsbilder“ (ebd. 108), weil diese häufig als Kulturgrenzen gedeutet werden. Von zentraler Bedeutung für den kulturhistorischen Ansatz ist daher eine Auseinandersetzung mit Fragen des Zustandekommens von Verbreitungen, z. B. durch die tatsächliche Bewegung von Menschen, die schlichte Weitergabe von Objekten und der Übernahme von Verhaltensweisen (ebd. 106).

Der naturräumliche Ansatz befasst sich mit der Bedingtheit des Menschen durch naturräumlichen Verhältnisse und wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch die Arbeiten von Robert Gradmann, Karl Hermann Jacob-Friesen, Ernst Wahle und Burchard Sielmann geprägt (ebd. 109; siehe auch Knopf 2013: 70f.). Wie an den Dissertationen von Wolfram Schier, Thomas Saile und Doris Mischka zu erkennen ist, erfuhr dieser Forschungsansatz einen erneuten Aufschwung mit der Einführung computergestützter Analyseverfahren und geographischer Informationssysteme, kurz GIS (ebd. 111f.). Problematisch für die GIS-gestützten Analyseverfahren ist nach Müller-Scheeßel die Abhängigkeit der naturräumlichen Daten untereinander. So müsste man vor jeder Untersuchung prüfen, welche Daten eigentlich miteinander korrelieren. Ein weiteres Problem sieht er in der Rekonstruierbarkeit der naturräumlichen Verhältnisse: „Streng genommen müsste eigentlich vor der Einbeziehung in eine naturräumliche Analyse für jeden Fundpunkt einzeln geklärt werden, inwieweit die heutigen Daten auf die Urgeschichte übertragen werden oder wenigstens interpoliert werden können“ (ebd. 112f.). Man wird ihm zustimmen müssen, wenn er eine Umsetzung dieser Quellenkritik in der archäologischen Praxis als „illusorisch“ bezeichnet (ebd. 113). Siedlungsarchäologische Dissertationsvorhaben behandeln nicht selten Arbeitsgebiete, in denen 1000 bis 1800 Fundplätze liegen. In Anbetracht der vorgegeben drei Jahre Forschungszeit lässt sich eine solche Quellenkritik nicht von einer Person umsetzen. 

Der funktionalistische Ansatz dagegen untersucht dagegen Fragen nach der Siedlungs- und Bevölkerungsdichte. Von Bedeutung sind ferner Fragen nach der Hierarchie der Siedlungssysteme im Sinne der Zentralorttheorie von Walter Christaller. Auf der Ebene der Siedlungen selbst werden Aktivitätszonen und Funktionsbereiche untersucht (ebd. 117f.). Auch diese Forschungsrichtung profitiert erheblich von der Einführung von GIS in die Archäologie.

Von allen vier Denkstilen sei der phänomenologische Ansatz in der deutschsprachigen Archäologie der jüngste. Im Zentrum stehen die Bedeutung prähistorischer Landschaften für den damaligen Menschen und die hiermit einhergehenden Raumerfahrungen. Dies geschehe über den hermeneutischen Ansatz einerseits und über die Verwendung Geographischer Informationssysteme zur Analyse von Sichtbarkeitsverhältnissen und potentiellen Wegstrecken andererseits (ebd. 121f.).

Hinsichtlich des Problems der Quellenüberlieferung macht Müller-Scheeßel in seinem Ausblick schließlich auf das von Andreas Zimmermann und Mitarbeitern geprägte Konzept des „Schlüsselgebiets“ aufmerksam. Es handelt sich hierbei um sehr gut erforschte Regionen, zu denen „durch Begehungen, Prospektionen und Ausgrabungen Primärdaten von hoher Qualität“ (ebd. 124) vorliegen. Die hier gewonnenen Ergebnisse können anschließend für die Erforschung angrenzender Gebiete mit einem schlechteren Forschungsstand berücksichtigt werden (ebd. 125).

Der Beitrag endet mit einer durchaus positiven Feststellung: die Archäologie sei im Vergleich zu anderen Kulturwissenschaften bestens auf den spatial turn vorbereitet und verfüge über entsprechendes Rüstzeug, um sich inhaltsreich an der Auseinandersetzung zu neuen Raumkonzepten zu beteiligen (ebd. 125).  

 

Im vierten Kapitel wechselt mit den Ausführungen von Tim Kerig der Schwerpunkt von umwelt- und raumbezogenen Fragestellungen zu einem gänzlich anderen Thema: Wirtschaft[2]. Kerig beschreibt darin die Entwicklung der Wirtschaftsarchäologie seit den 1970er Jahren in Deutschland, wobei er sich an den für die Wirtschaft zentralen Begriffen Produktion, Distribution, Konsum, Boden, Kapitel und Arbeit orientiert. Der Umfang der einzelnen Abschnitte variiert mit dem jeweiligen Forschungsstand. Am umfangreichsten ist der Absatz über Distribution, in dessen Rahmen Fernhandelsbeziehungen exemplarisch an den Südimporten während der Hallstattzeit (ebd. 157-160) behandelt werden.

Diese Art der Darstellung anhand fachfremder Terminologie ist von Kerig bewusst gewählt worden, um einer unreflektierten Weiterführung fachspezifischer Deutungsmuster entgegen zu wirken (ebd. 140). Für die Erörterung der Begriffe greift er auf ausgewählte Arbeiten zurück, die sich durch ihren repräsentativen Charakter oder herausragende Leistungen auszeichnen. Die zitierten archäologischen Fallbeispiele stammen mehrheitlich aus dem Neolithikum und dem Westhallstattkreis (ebd. 141). Ergänzt werden die wirtschaftlichen Begriffe durch eine Diskussion der Aspekte Entwicklungsstand – exemplarisch werden hier die Einführung des Pfluges, die secondary products revolution sowie Eisenproduktion genannt – (ebd. 155f.) und historischer Konjunkturen am Beispiel der von Manfred Rösch rekonstruierten Nutz- und Regenerationsphasen für das Jung- und Spätneolithikum im Alpenvorland sowie pollenanalytischer Darstellungen für den Bodenseeraum von Jutta Lechterbeck und das Federseegebiet von Niels bleicher.

Das Kapitel endet mit einer Übersicht der für die wirtschaftsarchäologische Forschung bedeutsamen Übersichtsdarstellungen und Gesamtwerke, in der Kerig insbesondere die frühen in der DDR publizierten Werke würdig – herausgehoben werden überdies die Deutsche Agrargeschichte, das Neolithikum in Mitteleuropa und jüngere Projekte – und einer abschließenden Zusammenfassung des Potentials der wirtschaftswissenschaftlich informierten Wirtschaftsarchäologie. Kerig sieht die Entwicklung wirtschaftsarchäologischer Forschungen aus den letzten Jahrzehnten durchaus positiv. So haben selbst „einfache Übersetzungen archäologischer Sachverhalte in die Sprache der Wirtschaft“ wiederholt ungewohnte Einsichten hervorgebracht (ebd. 172).

Dies täusche aber nicht darüber hinweg, dass man sich sehr lange wirtschaftlichen Konzepten und Theorien verschlossen habe. Es sei „ein gewisser anti-ökonomischer Affekt“ erkennbar (ebd. 171). Selbst die mit dem Nobelpreis ausgezeichnete „Theorie des institutionellen Wandels“ von Douglass C. Norths sei bislang in der Archäologie ignoriert worden (ebd. 171). Darüber hinaus können eine Berücksichtigung quantitativer Aussagen aus der Ethnologie sowie „formal-systemische Modellierungen wirtschaftlicher Zusammenhänge – etwa durch Input-Output-Tabellen“ (ebd. 172) und an ökonomischen Begriffen ausgerichtete Fragestellungen der wirtschaftsarchäologischen Forschung neue Impulse geben.

 

Unter dem Titel „>Gesellschaft< und >Herrschaft<: Gleichheit und Ungleichheit in frühen Gesellschaften“ bietet Ulrich Veit eine Einführung in die Geschichte der Sozialarchäologie, die sich seit den 1980er Jahren zusehends in der deutschsprachigen Ur- und Frühgeschichtsforschung etabliert hat[3]. Der Beitrag resümiert zunächst im Rahmen eines forschungsgeschichtlichen Überblickes die Herausbildung der „Archäologie politischer Organisationsformen“ (Veit 2013: 193). Veit macht darauf aufmerksam, dass sich sozialarchäologische Forschungsansätze in der deutschsprachigen Prähistorischen Archäologie erst im Zuge der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit des Faches durchsetzen konnten. Die Auseinandersetzung mit sozialen Fragestellungen in Deutschland wurde nach der Wende maßgeblich durch Impulse aus der englischsprachigen Archäologie beeinflusst, die zu diesem Zeitpunkt schon viel hierzu geforscht hatte (ebd. 195-200). Eine besondere Stellung nimmt schließlich die in den 1990er Jahren gegründete „Theorie-AG“ ein, die sich um einen Theorieimport verdient gemacht hat (ebd. 207).

Im Mittelpunkt des Artikels steht eine kritische Betrachtung der Art und Weise, mit welcher in den vergangenen Jahrzehnten sozialarchäologische Fragestellungen angegangen wurden. Dies betrifft mitunter die angewandte Terminologie zur Beschreibung politischer Gliederungsformen in prähistorischen Gesellschaften. Diese Praxis offenbare sich beispielsweise durch die Verwendung von Begrifflichkeiten wie „Elite“ oder „Fürst“ (ebd. 202f., 216).

Besonders lesenswert ist der Abschnitt über „Methodische Perspektiven und Probleme“, in dem Veit sich mit dem methodischen Vorgehen des kulturanthropologischen und des semiotischen Ansatzes befasst (ebd. 209-215). Objekt- und Gräberhierarchien zur Rekonstruktion sozialer Schichten werden hierbei einer eingehenden Kritik unterzogen (210-212). Außerdem muss er feststellen, dass sich zum einen oftmals Modelle und Deutungen durchsetzen, „die den zeitgenössischen gesellschaftlichen Erwartungen am nächsten kommen“  und zum anderen die „Neigung, übergreifende Erklärungsmodelle gegenüber allzu weit reichende Kritik zu immunisieren“ (ebd. 215).

Abschließend bietet er einen Ausblick zur methodischen Weiterentwicklung der Sozialarchäologie. So müsse man sich auf der Ebene der Gesellschaft mit „grundsätzlichen Fragen nach dem Wesen des Sozialen und der Struktur gesellschaftlichen bzw. politischen Wandels“ befassen. Hierfür könne die Archäologie schließlich an Terminologien, Diskussionen und Methoden anderer Kultur- und Sozialwissenschaften anknüpfen. Hinsichtlich der ethnoarchäologischen Modellbildung sollten Theorien mittlerer Reichweite gesucht und Möglichkeiten zur Vermittlung zwischen sozial- und kulturwissenschaftlichen sowie archäologischen Quellen ausgelotet werden. „Auf der Ebene der Methodendiskussion geht es um die Operationalisierung der unter Punkt 2 gewonnenen Einsichten mit dem Ziel, im archäologischen Befund erkennbare Muster soziologisch deuten zu können“. Darüber hinaus könne auf der praktischen Ebene die Quellenbasis für sozialarchäologische Fragestellungen z. B. durch Prospektionen und Ausgrabungen erweitert werden.

 

Stefan Burmeister widmet sich im sechsten Kapitel „Migration und Ethnizität: Zur Konzeptualisierung von Mobilität und Identität“ zwei Schlüsselkonzepten, die seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts zur Erklärung von Veränderungen in der materiellen Kultur herangezogen werden. Bemerkenswert ist jedoch, dass diese kaum auf einer theoretischen Ebene reflektiert wurden (Burmeister 2013: 229f., 258).

Während man sich in den 1960er in der englischsprachigen Archäologie stark vom Migrationismus zurückzog, blieb er in Deutschland ein nach wie vor geläufiges Erklärungsmuster, das allerdings nicht als eigenständiges Forschungsthema aufgefasst wurde, sondern stets als eine „axiomatische Voraussetzung“ anzutreffen ist (ebd. 231). In dem einleitenden forschungsgeschichtlichen Überblick fokussiert sich Burmeister auf Arbeiten aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es zeigt sich, dass bis in die 1990er Jahre lediglich eine handvoll wissenschaftlich hochwertiger Beiträge zur Auseinandersetzung mit Migration und Ethnizität erschienen ist (ebd. 231f.) 

Dass dieses Thema besonders in der Prähistorischen Archäologie einen empfindlichen Nerv trifft, lasse sich an den sehr emotional geführten und von Missverständnissen geprägten Debatten aufzeigen (ebd. 233f.). Ein weiteres Problem sieht Burmeister in der „eklatanten Beziehungslosigkeit“ mancher Beiträge, in denen die Autoren zwar aufeinander Bezug nehmen aber letztlich doch aneinander vorbei reden (ebd. 244-246).

Die beiden eingangs erwähnten Schlüsselkonzepte Migration und Ethnizität diskutiert er getrennt voneinander. In seinen Ausführungen setzt er sich sehr kritisch mit geläufigen Vorgehensweisen auseinander und weist mehrfach darauf hin, dass sich Ethnien nicht aus dem archäologischen Fundmaterial „herauslesen“ lassen (ebd. 237-240, 248). Kritisch merkt er weiterhin an, dass ethnische Deutungen zumeist auf einem historischen Vorwissen beruhen und alternative Interpretationsmöglichkeiten nicht erörtert werden (ebd. 238f.).

Man kann ihm nur beipflichten, dass sich die archäologische Forschung sich so lange selbst im Wege steht, wie sie grundlegende theoretische Reflektionen ihrer Begrifflichkeiten meidet und mit statischen Kulturkonzepten arbeitet. So bezeugen laut Burmeister die Arbeiten von Sebastian Brather anschaulich, dass archäologische Forschung eine neue Qualität erreichen kann, wenn sie sich Diskursen anderer Wissenschaften öffnet und diese für sich fruchtbar macht. Seine intensive Beschäftigung mit den Begriffen >Ethnos< aus der ethnologischen Wissenschaft und >Identität<  aus den Gesellschaftswissenschaften habe sich als gewinnbringend erwiesen (ebd. 234-236). Die von Burmeister selbst durchgeführten Studien zu Tracht und Ethnizität machen deutlich, dass Trachten schon innerhalb lokaler Gemeinschaften sehr dynamisch sind, da sie zum einen geschlechts- und altersabhängig und zum anderen auch den sozialen Status sowie politische und religiöse Standpunkte des Einzelnen vermitteln. Tracht entsteht in „spezifischen historischen Situationen“ und unterliegt damit sozialen Prozessen (ebd. 242). Angesichts dieser Feststellung plädiert Burmeister für eine „Abkehr von der Vorstellung ethnisch statischer Gruppen eine geänderte Sicht auf Kultur, die deren aktiven Anteil an der sozialen Kommunikation innerhalb einer Gesellschaft stärker in den Vordergrund stellt“ (ebd. 244). Dies könne erreicht werden, wenn sich archäologische Diskurse nach außen öffnen und sich verstärkt mit den methodischen und theoretischen Konzepten anderer Wissenschaften befassen (ebd. 247f.).

Hinsichtlich der archäologischen Erforschung von Migration zeigt er die methodischen Grenzen auf, die sich bei der Verbindung schriftlicher Überlieferungen und archäologischen Fundmaterials ergeben (ebd. 237-240). Generell liefere die am archäologischen Material ohnehin meist sehr fragwürdig durchgeführte ethnische Deutung keine sichere Basis zum Nachweis von Wanderbewegungen. Fragen der Ethnizität sollten erst gestellt werden, wenn eine Wanderung bereits nachgewiesen wurde (ebd. 251). In diesem Zusammenhang weist Burmeister auf die Habilitationsschrift von Michael Meyer hin, in der Lösungswege für das methodische Dilemma im Umgang mit Wanderbewegungen und Akkulturationsvorgängen aufgezeigt werden (ebd. 252-254).

Archäologisch sollten Bewegungen nicht über kulturelle Merkmale nachgewiesen werden, „die aufgrund ihrer Funktionalität oder ihres sozialen Wertes vielfach Anwendung finden könnten“ (ebd. 254). Vielmehr sollten solche Beobachtungen herangezogen werden, die keine soziale Signifikanz besitzen und „wenig funktional wirken“ wie etwa die unterschiedlichen Techniken der Aufarbeitung des Tons und der Magerung bei der Herstellung von Keramik, planerische Gestaltung von Siedlungsstrukturen oder Küchen- und Essgewohnheiten. Auch quantitativen Analysen von Beigabenkombinationen spricht er unter Umständen das Potential zu, Ein- bzw. Auswanderungen aufzeigen zu können, da Beigabenmuster einem kulturellen Verhalten unterliegen (ebd. 254).  

Auch wenn die methodische und theoretische Reflektion der Schlüsselkonzepte Migration und Ethnizität nach wie vor noch „wenig ausgeprägt“ ist (ebd. 229), gibt sich der Autor optimistisch. Inzwischen sei hierzulande die theoretische Auseinandersetzung mit Ethnizität und Migration soweit fortgeschritten, dass alternative Deutungsmodelle zu Migration existieren (ebd. 232). Gerade die Arbeiten der letzten 15 Jahre haben gezeigt, dass Ethnologie, Volkskunde und Soziologie sowie Naturwissenschaften der archäologischen Auseinandersetzung mit Migrationen, Ethnizität und Akkulturation neue Impulse geben können (ebd. 247-250).

 

Kerstin P. Hofmann widmet sich im siebten Kapitel dem Bereich „Gräber und Totenrituale: Zu aktuellen Theorien und Forschungsansätzen“. In ihren Ausführungen konzentriert sie sich auf die sozialgeschichtlichen Aspekte der Erforschung der Gräber. Chronologische und formenkundliche Untersuchungen werden nicht in die Diskussion einbezogen (Hofmann 2013: 270). Hofmann konstatiert in ihren einleitenden Bemerkungen zur forschungsgeschichtlichen Auseinandersetzung mit Gräbern, dass eine theoretische Diskussion über deren Aussagefähigkeit in Deutschland erst in den 1960er Jahren aufgenommen wurde. Theoretische Strömungen und Diskurse anderer Länder seien in nur sehr kleinem Maße berücksichtigt worden. Der theoretische Diskurs habe sich in Deutschland weitestgehend isoliert entwickelt. Während anfangs hauptsächlich historische Vergleiche sowie Bild- und Schriftquellen zur Interpretation herangezogen wurden, werden in jüngster Zeit vermehrt „Arbeiten mit ethnologischer Perspektive“ vorgelegt, anglophone Literatur rezipiert und semiotische sowie kommunikationstheoretische Ansätze verfolgt (ebd. 271, 273). Auf letztere geht sie dann ausführlich ein (ebd. 281-285). Trotz der jüngeren Entwicklungen und Fortschritte gebe es nach wie vor „keine systematische Auseinandersetzung mit der Quelle >Grab< inklusive der dafür notwendigen Terminologie“ (ebd. 271).

Nach diesen einleitenden Bemerkungen wendet sich Hofmann der in der Prähistorischen Archäologie klassischen Interpretation von Gräbern im Sinne einer vertikalen Sozialstruktur zu, die sie am Beispiel der hallstattzeitlichen Fürstengräber bespricht. In diesem Zusammenhang resümiert sie zunächst einmal die Debatte über die zuweilen sehr unreflektierte Anwendung von Begrifflichkeiten wie etwa „Fürst“ auf ur- bzw. frühgeschichtliche Gesellschaften (ebd. 274-276), bevor sie auf modernes methodisches Rüstzeug zur Untersuchung gesellschaftlicher Hierarchien zu sprechen kommt (ebd. 276f.).

Anschließend diskutiert sie Ansätze und Möglichkeiten in der Erforschung der horizontalen Sozialstruktur. Da sie hier nicht alle Facetten besprechen kann, konzentriert sich Hofmann auf die Aspekte des Geschlechtes und des Alters, religiöse und berufliche Gruppierungen sowie Verwandtschaft, Fremdheit und Ethnizität können nicht eingehender diskutiert werden. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn sie nicht nur die Grenzen der archäologischen Geschlechterbestimmung auf der Basis von Grabinventaren eingegangen wäre. An dieser Stelle wäre zumindest der Hinweis passend gewesen, dass Geschlechter eine soziale Konstruktion sind und Gesellschaften existieren, in denen mehr als zwei Geschlechter differenziert werden (vgl. Alex/Klocke-Daffa 2005)[4].  

In ihrem Resümee begrüßt Hofmann den Wandel, der sich in der Sichtweise auf Gräber vollzogen hat. So werden Gräber heute als „Teil des Lebens“ betrachtet, der „aktiv zur Konstruktion, Modifikation oder Fortbestehen vielfältiger Wirklichkeiten“ diente (ebd. 286). Auch die zunehmende Untersuchung horizontaler Strukturen sowie die Etablierung semiotischer und kommunikationstheoretischer Ansätze, in denen sowohl Funde als auch Befunde und deren Kontexte berücksichtigt werden, sind durchaus positiv zu bewerten. Allerdings sollten in Zukunft verstärkt die gängigen Konzepte zu Grabeigaben hinterfragt werden ebenso wie die „Annahmen wie die der Totenruhe und die der Konservativität und Traditionsbezogenheit des Totenrituals“ (ebd. 287).    

 

Martin Porr bietet in seinem Beitrag eine Übersicht verschiedener Interpretationsansätze paläolithischer Kunst, die bis in die 1970er Jahre zurückreichen (Porr 2013: 300f.). Die Abschnitte des Kapitels gliedert er nach einzelnen Forschern bzw. Gruppen von bis zu drei Personen (ebd. 311-313). Die Gliederung orientiert sich an Personen, weil sich die interpretatorischen Herangehensweisen nicht in einzelne Schulen bzw. Strömungen gliedern ließen (ebd. 300). Porr erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und befasst sich ausschließlich mit Prähistorikern aus Westdeutschland. Eine fundierte Besprechung der ostdeutschen Tradition – als Vertreter seien hier H. Ullrich, J. Herrmann und D. Mania genannt – müsste „Thema eines eigenen Beitrags sein“ (ebd. 302).

Nach einer Betrachtung der Entwicklung bis zur Nachkriegszeit (ebd. 302-304) widmet sich Porr den Arbeiten von Karl J. Narr, Hansjürgen Müller-Beck, Gerhard Bosinski, Christian Züchner, Lutz Fiedler, Hermann Müller-Karpe, Joachim Hahn und Nicholas Conard.

Während sich die Forschungsansätze der Nachkriegszeit durch einen universalhistorischen Charakter auszeichnen und die Autoren vielfach auf ethnographische Informationen zurückgreifen, sind die Arbeiten von Hahn und Conard in dieser Hinsicht deutlich zurückhaltender. Hahns Deutungen gehen hauptsächlich auf Beobachtungen zurück, die aus der Analyse der einzelnen Kunstobjekte beruhen, ethnologische Vergleiche spielen in seinen Ausführungen eine untergeordnete Rolle ebenso wie deren Einordnung in die Kultur-, Geistes- oder Entwicklungsgeschichte des Menschen (ebd. 319f.). Selbiges gilt für Conard, der die aurignacienzeitlichen Statuetten aus Südwestdeutschland als Marker modernen menschlichen Verhaltens versteht und im Kontext von >Verhaltensmustern< wie Subsistenz, Mobilität etc. deutet (ebd. 322). 

Der Beitrag zu Müller-Karpe fokussiert sich auf dessen Schriften aus letzten Jahren, in denen er seine „persönlichen spekulativen Überzeugungen über die geistig-spirituelle Entwicklung der Menschheit in ein quasi-wissenschaftliches Gewand“ (ebd. 314) zu kleiden versuchte und dies an prominenter Stelle publizierte, d. h. auch in Fachzeitschriften. Seine Überlegungen über die Rolle der Gotteserkenntnis in der geistigen Menschwerdung werden von Porr daher völlig zu Recht kritisiert (ebd. 314-316).

Es sei die Anmerkung gestattet, dass eine Besprechung seiner früheren Schriften zur paläolithischen Kunst an dieser Stelle eine willkommene Ergänzung gewesen wäre, z. B. zu dem betreffenden Kapitel im Handbuch zur Vorgeschichte (Müller-Karpe 1977: 188-223). Immerhin handelt es sich hierbei um einen Teil seines „Lebenswerkes“, der ohne Zweifel deutlich mehr Fachkollegen und Studierende im In- wie auch im Ausland erreichte als die hier besprochenen „Theorien“ zur „Religionsarchäologie“ der letzten Jahre.  

 

 

Das abschließende Kapitel von Stefanie Samida rückt ein seitens der Archäologie kaum beachtetes und ebenso wenig theoretisiertes Thema in den Vordergrund: „Archäologie und Öffentlichkeit“. In ihrem Beitrag unterzieht Samida das in den Medien vorherrschende und nach wie vor klischeebeladene Bild der Archäologie einer umfassenden Kritik. Archäologie begeistere nach wie vor die Öffentlichkeit und sei beliebter denn je (Samida 2013: 338-340). Allerdings interessiere sich die Öffentlichkeit deutlich mehr für die Archäologie als die archäologische Fachwelt für den interessierten Laien (ebd. 339).

In ihren forschungsgeschichtlichen Betrachtungen der Wechselbeziehung dieser beiden Pole stellt Samida fest, dass das heutige Bild der Archäologie zu großen Teilen noch auf Vorstellungen aus dem späten 19. Jahrhundert beruht. Damals war es Heinrich Schliemann, der Archäologie in der Öffentlichkeit als eine nach Schätzen und Mythen grabende Wissenschaft populär machte (ebd. 342f.). Seither habe sich nur wenig an diesem Bild geändert, so dass das Selbstverständnis der Archäologie heute – sie hat sich ja unbestreitbar seit dem 19. Jahrhundert verändert – sich mit mitnichten mit der Rezeption von Archäologie in der Öffentlichkeit deckt. Dies führt Samida darauf zurück, dass man sich seitens der Archäologie zum einen kaum mit didaktischen Konzepten befasst und zum anderen anscheinend bereitwillig das klischeebehaftete Bild der Archäologie in den Medien bediene (ebd. 349f.). Hier kann sie aus einem sehr umfassenden Reservoir an Beispielen schöpfen, die allesamt ihre Thesen bestätigen. So etwa eine Studie, die im Jahr 2000 an der Universität durchgeführt wurde. Immerhin gingen damals noch 32,1 % der Befragten davon aus, dass Dinosaurier von Archäologen untersucht werden (ebd. 343).        

Im zweiten Teil ihres Beitrages diskutiert sie kulturwissenschaftliche und geschichtsdidaktische Konzepte und Begriffe wie Geschichtskultur, intentionale Geschichte, kulturelles Gedächtnis oder Erinnerungsorte (ebd. 347-356). Hierauf aufbauend formuliert sie schließlich eine Archäologiedidaktik, deren Aufgabe in erster Linie darin bestehe, „die Vermittlung und die Wirkungsweise der und der von ihr erforschten Vergangenheit in der Gesellschaft zu erforschen“ (ebd. 364). Stefanie Samida sieht in der Archäologiedidaktik eine interaktive Schnittstelle, an der sich Fachwelt und Öffentlichkeit begegnen. Wie sie darlegen konnte, gibt es in den benachbarten Kultur- und Geschichtswissenschaften eine Fülle an Theorien und Konzepten, die gewinnbringend für eine Didaktik der Archäologie aufbereitet werden können. Allerdings müsse diese archäologische Didaktik nicht nur nach außen wirken, sondern auch nach innen in die archäologischen Einzelfächer hinein, „indem sie eine fachübergreifende archäologisch-didaktische Methodik entwickelte und zugleich das Lehrangebot in den Fächern erweiterte“ (ebd. 365).  

Dieser von Stefanie Samida skizzierte Weg ist sehr zu begrüßen. Eine Didaktik der Archäologie in ihrem Sinne rückt die völlig berechtigte und notwendige Selbstreflektion der archäologischen Einzelfächer in den Vordergrund und fördert überdies die Vermittlung zwischen akademischer Forschung und Öffentlichkeit. Auf diesem Wege wird es möglich sein, das althergebrachte klischeeüberzogene Bild von Archäologie korrigieren.

 


[1] Der Nachname wird überall mit „ß“ geschrieben. Auf der ersten Seite des dritten Kapitels jedoch mit „ss“.

[2] Im Gegensatz zu den anderen Artikeln fehlt in diesem eine Überschrift für den einleitenden Teil nach der Zusammenfassung und dem abstract.

[3] Auf Seite 218 hat sich ein Tippfehler eingeschlichen: „Insofern  b l i e b t  im Hinblick auf eine …“

[4] Vor diesem Hintergrund sollte die archäologische Praxis im Umgang mit Geschlechtszuweisungen überdacht werden. Vielleicht gelingt über eine Berücksichtigung der ethnologischen Forschung zumindest eine grobe Annäherung an soziale Geschlechterrollen in der Ur- und Frühgeschichte.

Fazit

Die Beiträge sind allesamt sehr gut editiert und leserlich geschrieben. Anhand ausgewählter Fallbeispiele vermitteln die Autoren anschaulich die Notwendigkeit theoretischer Reflektionen und Diskurse für die archäologische Forschung. Stefan Burmeister hat diese elementare Aussage trefflich auf den Punkt gebracht: „Eine Diskussion, die sich dem theoretischen Diskurs entzieht, ist folglich zum Scheitern verurteilt“ (Burmeister 2013: 250).

Ferner sei darauf hingewiesen, dass archäologische Fachbegriffe in den meisten Fällen erklärt werden und der Lesefluss nicht ins Stocken gerät. Damit ist dieses Sammelwerk auch für Studienbeginner verständlich und sollte auch unbedingt von diesen zur Kenntnis genommen werden. Aus den forschungsgeschichtlichen Exkursen ergibt sich ein durchaus plastisches Bild der Entwicklung der deutschsprachigen Prähistorischen Archäologie der vergangenen Jahrzehnte – zuweilen reichen die Ausführungen sogar bis an den Beginn des 20. Jahrhunderts zurück. Darüber hinaus zeigen diese Exkurse, wie lähmend eine mangelnde theoretische Selbstreflektion und wie fruchtbar dagegen der Blick über den eigenen Tellerrand hin zu benachbarten Kultur- und Geisteswissenschaften sein kann. Wenn wiederholt zu einer Berücksichtigung von theoretischen Diskursen und Methoden verwandter Fächer angeregt wird, geschieht dies nicht grundlos.

Nach der Lektüre dieses Buches wird jedem klar werden, dass Theorie und Praxis mitnichten als Gegensätze zu denken sind. Theorien wirken sich direkt auf die Arbeit im Felde und die Auswertung der materiellen Hinterlassenschaften aus. Archäologie ist eine historische Kulturwissenschaft; es ist nicht ihre Aufgabe, solange Erde zu bewegen, bis glitzernde Dinge zum Vorschein kommen. Wenn wir unserer Verantwortung gegenüber ur- und frühgeschichtlichen Gesellschaften gerecht werden wollen, sind Reflektionen unseres eigenen Handeln und Denkens unerlässlich. Gerade deshalb sind Sammelwerke wie dieses auch so enorm wichtig. 

 

Der zehnte Band der Tübinger Archäologischen Taschenbücher ist in mehrfacher Hinsicht sehr empfehlenswert. Die Beiträge decken ein breites Spektrum theoretischer Diskurse ab. Sie  sind verständlich geschrieben und sensibilisieren für eine kritische Reflektion theoretischer Konzepte. Die einzelnen Kapitel bieten nicht nur einen fundierten Einblick in die Forschungsgeschichte der letzten Jahrzehnte, sie weisen darüber hinaus auch Wege für die Zukunft auf. Überhaupt werden in diesem Band Schlüsselbegriffe aus der Forschung der Prähistorischen Archäologie behandelt, die elementarer nicht sein könnten.

 

Den Herausgebern und Autoren ist ein ausgezeichnetes Grundlagenwerk gelungen, das Studierenden sehr zu empfehlen ist

 

 

 

Zitierte Literatur

 

Alex/Klocke-Daffa 2005 Gabriele Alex – Sabine Klocke-Daffa, Sex and the body: ethnologische Perspektiven zu Sexualität, Körper und Geschlecht (Bielefeld 2005).

Bernbeck 1997 Reinhard Bernbeck, Theorien in der Archäologie (Tübingen 1997).

Eggert/Veit 1998 Manfred K. H. Eggert – Ulrich Veit (Hrsg.), Theorie in der Archäologie: Zur englischsprachigen Diskussion (Tübingen 1998).

Müller-Karpe 1966 Hermann Müller-Karpe, Handbuch der Vorgeschichte, Band I (München 1966).

Details

Umfang: 376 Seiten

ISBN: 978-3-8309-2967-3

Preis: 29,90€

Buch Kauflink: Theorie in der Archäologie: Zur jüngeren Diskussion in Deutschland

Datum der Rezension: 12.04.2014

Rezensent: Jan

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