Zur Entdeckung der Stratigrafie

Was ist Stratigrafie?

In der Prähistorischen Archäologie kommt der Stratigrafie (alternative Schreibweise 'Stratigraphie') eine zentrale Bedeutung zu. Der Begriff 'Stratigrafie' stammt ursprünglich aus der Geologie und fand im Verlauf des 19. Jahrhunderts seinen Weg in die archäologische Forschung. Er setzt sich aus dem lateinischen stratum für 'Schicht' und dem griechischen grápheïn für 'schreiben zusammen'. Im etymologischen Sinne bezeichnet Stratigrafie demnach die Lehre von Schichten und Ablagerungen. Aus dieser Wortherkunft wird ersichtlich, dass es sich um eine naturwissenschaftlich geprägte Methode handelt. Dass dieser Begriff schon im frühen 19. Jahrhundert seinen Weg in die Forschung der Prähistorischen Archäologie gefunden hat, sollte uns nicht verwundern. Zu dieser Zeit war es keine Seltenheit, dass Gelehrte, die sich für Altertümer interessierten, auch eine geologische Aus- bzw. Vorbildung besaßen. In der Geologie hatte sich die Stratigrafie bis dahin als ein Instrumentarium zur Entwicklung von relativen Chronologien etabliert. Damit war die Stratigrafie automatisch eine Methode, die sich auch ArchäologInnen zur Gliederung der Ur- und Frühgeschichte zunutze machen konnten. Schichten können nämlich sowohl durch natürliche als auch durch menschliche Prozesse entstehen. Unter Felsdächern und in Höhlen bilden sich zum Beispiel dicke Schichtpakete, sofern diese über längere Zeiten hinweg von Menschen aufgesucht werden. Der unvergängliche Teil des alltäglichen Abfalls landet auf dem Boden, wird festgetreten und bildet eine Schicht nach der anderen. Während der Abwesenheit des Menschen können sich durch natürliche Sedimentationsprozesse sterile Schichten ablagern. Sobald der Mensch Eingriffe in den Boden vornimmt, verändert er die Struktur der Schichten auf eine sichtbare Art und Weise. Hier gehören zum Beispiel das Anlegen von Gruben, Gräbern, Brunnen, Pfostenlöchern, Feuerstellen etc. Andererseits können auch Stratigrafien künstlich geschaffen werden, z. B. Durch das Aufschütten von Erdwällen für Befestigungsanlagen, Grabhügeln und dergleichen. Alle diese Handlungen hinterlassen Spuren im Boden, die sich ArchäologInnen bei der Erforschung prähistorischer Kulturen zunutze machen können. Insbesondere bei der Gliederung der Altsteinzeit griff man auf stratigraphische Beobachtungen zurück, die man unter Felsdächern und in Höhlen in Frankreich gemacht hatte. Sehr berühmt für Fundstellen dieser Art ist das Departement Dordogne.

 

Das Differenzieren und Beschreiben unterschiedlicher Ablagerungen im Boden erfolgt aus archäologischer Sicht hauptsächlich zur Klärung der zeitlichen Abfolge von menschlichen Tätigkeiten. Diese chronologische Aufschlüsselung ist immer relativchronlogisch. Über stratigrafische Zusammenhänge erfahren wir demnach nur, ob eine bestimmte Schicht älter oder jünger ist als die angrenzenden Schichten. Absolute Daten können wir mit der Stratigrafie nicht gewinnen. Allerdings können wir ausgehend von stratigraphischen Beobachtungen entscheiden, ob es sich lohnt, aus einer bestimmten Schicht Proben für absolutchronologische Datierungen zu entnehmen.

 

In der Archäologie wird zwischen einer vertikalen und einer horizontalen Stratigrafie unterschieden. Bei vertikalen Stratigrafien haben wir es mit Schichten zu tun, die übereinander liegen, z.B. in Höhlen. Von der so genannten Horizontalstratigrafie wird hauptsächlich gesprochen, wenn es um die zeitliche Abfolge von Gräbern aus einem Gräberfeld geht. In der Regel wurden dann mit der Seriation bzw. Korrespondenzanalyse möglichst viele der vorhandenen Grabinventare untersucht und auf diese Weise eine relativchronlogische Abfolge der Gräber ermittelt. Wenn diese Abfolge nun auf das gesamte Gräberfeld übertragen wird, dann wird ersichtlich, zu welchem Zeitpunkt das Gräberfeld in eine bestimmte Richtung ausgeweitet wurde.

 

Um Verwirrungen vorzubeugen, soll an dieser Stelle auf Begrifflichkeiten von besonderer Bedeutung aufmerksam gemacht werden. Die Begriffe Stratum (Plural: Straten), Schichten und stratigrafische Einheiten werden zumeist synonym für Schichten bzw. Ablagerungen angewandt, die auf natürliche Weise entstandene sind. Sobald eine stratigrafische Einheit Artefakte oder andere durch anthropogene (menschliche) Einflüsse entstandene Hinterlassenschaften enthält, wird häufig der terminus technicus "Kulturschichten" verwendet.

Begriffe zur Stratigrafie

Begriff Bedeutung
Positive features durch menschliche Einflüsse entstandene Schichten z.B. eine Mauer.
standing structures Synonym zu positive features
upstanding layers Synonym zu positive features
Negativ features Negativ einer ehemalig von Menschen geschaffenen Schicht (Gruben, Hohlformen ...)
Interface Grenzfläche zwischen zwei Schichten
Archäologische Stratifizierung Abfolge von Schichten (stratigraphischen Einheiten)
Archäologische Stratigraphie Studium/Beschreibung/Interpretation von archäologischen Stratifizierungen

Steno und das stratigrafische Lagerungsgesetz

Steno
Niels Stensen (1638-1686), auch "Steno" genannt. Quelle: Wikimedia.commons
Haifischkopf
Von Steno untersuchter Hai. Quelle: Wikimedia.commons

Die Anwendungsmöglichkeit der Stratigrafie als Mittel zur Erstellung relativer Chronologien wurde zunächst von naturwissenschaftlichen Gelehrten entdeckt, die sich mit geologischen Ablagerungen befassten. Erst im 19. Jahrhundert fand eine intensivierte Auseinandersetzung von Archäologen mit der Stratigrafie statt.

 

Der erste Mann, der sich mit der Stratigrafie besonders intensiv auseinandersetzte, sie beobachtete und daraus Schlüsse zog, war der dänische Arzt und Naturwissenschaftler Niels Stensen (1638–1686; auch "Steno" genannt). Er orientierte sich bei seinen Beobachtungen an Fossilien aus geologischen Schichten und entwickelte auf dieser Grundlage das stratigrafische Lagerungsgesetz. Dieses Gesetz besagt, dass die jeweils jüngere Schicht stets auf der älteren Schicht liegt.

 

Auf diesen Gedanken war er gekommen, als er Fossilien als Überreste von ehemaligen Tieren erkannte. Er gilt damit als der Entdecker der Fundgattung der "Fossilien". Zu seiner Zeit sammelten Antiquare und Kuriositätenkabinette allerlei Dinge. Dazu gehörten auch die so genannten Glossopetrae (lat. für "Zungensteine"), also zungenförmige kleine Steine. Man hatte ihnen den lateinischen Namen 'Glossopetrae' gegeben. Da Stensen als naturwissenschaftlich Gelehrter auch an Anatomie von Tieren interessiert gewesen ist, lies ihm eines Tages der Großherzog Ferdinando II. de' Medici von Florenz einen Haikopf zukommen. Dieser war erst kürzlich getötet worden und sollte dem gerade 28 Jahre alten Niels Stensen zu anatomischen Studien bereitgestellt werden.

 

Bei seiner Untersuchung des Gebisses fiel ihm auf, dass dessen Zähne den Glossopetrae ähnlich waren. Daraus zog er schließlich die Konsequenz, dass es sich bei den Zungensteinen ebenfalls um Haifischzähne handeln musste. Diese waren aufgrund ihres hohen geologischen Alters bereits versteinert. Wie konnte es aber dazu kommen? Er stellte zunächst fest, dass sich die versteinerten Haifischzähne in ihrer äußeren Erscheinung glichen und noch als Zähne  identifizierbar waren. Die Fossilien wurden jedoch in tieferen steinernen geologischen Schichten gefunden, Bsp. in den Kreidefelsen vor Malta. Haie schwimmen allerdings nur durch Wasser und nicht durch festes Gestein bzw. Kreidefelsen. D. h. dass die Zähne an diesem Ort gefunden wurden, weil dort früher einmal Wasser gewesen sein muss. Dieses wiederum war von Haien bewohnt und als diese starben, sanken deren Körper (und Zähne) auf den schlammigen Meeresgrund. Dort wurden sie über die Zeit hinweg mit Schlamm und weiteren Sedimenten bedeckt. Diese Sedimente bildeten zunehmend dicker werdende Schichten, die wiederum von neuen Schichten überdeckt wurden.

 

Zähne von kürzlich verstorbenen Haien waren nicht versteinert und mussten aus geologischer Sicht relativ "jung" sein. Schichten mit versteinerten Zähnen dagegen waren sehr alt. Durch diese Beobachtungen konnte Steno schließlich das erste stratigrafische Gesetz formulieren: die jüngeren Schichten ruhen erwartungsgemäß auf den älteren.

William Smith

Strata-Smith
William Smith (1769-1839), auch "Strata-Smith" genannt. Gemälde von Hugues Fourau (1803-1873). Quelle: Wikimedia.commons

Der englische Ingenieur und Geologe William Smith (1769–1839) machte bei Kanalbauarbeiten einige besondere Beobachtungen von Schichten derselben Zusammensetzung. Schließlich kam er zu dem Schluss, dass jene Schichten, welche aus dieselben Fossilien enthielten, zeitgleich existiert haben müssten. Deshalb gilt er als der Begründer der so genannten Biostratigrafie.

 

Man konnte Schichten also aufgrund von Fossilien in geologische Zeitalter datieren. Hierzu war man nicht auf die Sedimente angewiesen, sondern auf deren Fossilien. Schichten mit Fossilien von gleicher Erhaltung und in einem proportional gleichen Erscheinungsverhältnis mussten aus derselben Zeit stammen. Mit diesem Wissen konnte man überall Ablagerungen datieren. Man benötigte nur einen repräsentativen Ausschnitt, um ausreichend Fossilien zur Untersuchung zu erhalten, und musste das Ergebnis mit anderen Schichten vergleichen. Für seine innigen Beschäftigungen mit Stratigraphien erhielt er den liebevollen Spitznamen "Strata-Smith".

Das Prinzip des Aktualismus

Die Entwicklung der stratigrafischen Methode ist aus zweierlei Sicht für die Prähistorische Archäologie von herausragender Bedeutung. Wie wir bereits festgestellt haben, lassen sich auf der Basis von Schichtbeobachtungen relative Chronologien formulieren. Nicht minder bedeutsam für die Entwicklung der Archäologie als eigenständige Wissenschaft ist das Prinzip des Aktualismus, welches im späten 18. Jahrhundert erstmals erkannt und dem im frühen 19. Jahrhundert durch die Arbeiten von Sir Charles Lyell (1797–1875) endgültig zum Erfolg verholfen wurde. Lyell veröffentlichte ab 1830 ein dreibändiges Werk mit dem Titel „Principles of Geology“, in dem er das ursprünglich von Steno formulierte stratigrafische Lagerungsgesetz bestätigen konnte. Er fügte außerdem noch hinzu, dass in den zunehmend tieferen Schichten proportional mehr Tiere enthalten sind, die es heute nicht mehr gibt - also ausgestorben sind. Umgekehrt konnte er feststellen, dass in den jüngeren Schichten umso mehr Tiere enthalten sind, die heute noch leben. Darüber hinaus konnte er das Prinzip des Aktualismus bestätigen. Dieses Prinzip geht davon aus, dass alle geologischen Prozesse heute den selben Regeln folgen wie vor tausenden von Jahren.

Das Prinzip des Aktualismus war allerdings keine Idee, die von Sir Charles Lyell selbst entwickelt worden war. Das Prinzip wurde im 18. Jahrhundert von dem schottischen Naturforscher und Geologen James Hutton (1726–1797) entwickelt. Hutton war einer der ersten Gelehrten – wenn nicht sogar der erste überhaupt – welcher ausdrücklich darauf hinwies, dass die geologische Zeitskala und die Geschichte des Menschen, wesentlich älter sein müssten als die in der Bibel genannten Zeiträume es vorgeben. Ein solcher Gedanke im 18. und frühen 19. Jahrhundert eine enorme Sprengkraft besaß, lag auf der Hand. Geistliche Gelehrte gingen damals noch davon aus, dass die Geschichte der Menschheit ca. um 5500 v. Chr. einsetzte. Ausschlaggebend hierfür sind Berechnungen, welche von den in der Bibel befindlichen Zeitangaben ausgehen. Ausgehend von Beobachtungen an Kalk-, Sandstein und Schiefer-Schichtungen in Schottland ging Hutton davon aus, dass in der Vergangenheit dieselben geologischen Prozesse wirkten wie heute. Wenn aber die Hebungen und Senkungen geologischer Schichten, Vulkanismus und Sedimentation schon immer so operiert haben wie in der heutigen Zeit, dann kann es keinen „Anfang“ und ebenso kein „Ende“ im biblischen Sinne geben. Damit wollte Hutton keineswegs die Existenz eines christlichen Gottes abstreiten. Ihm zufolge hatte Gott die Welt geschaffen und mit Mechanismen der Selbsterhaltung ausgestattet. Er konnte die Erde nach der Schöpfung sich selbst überlassen.

 

Seine Ansichten wurden jedoch von den AnhängerInnen der so genannten Katastrophentheorie angezweifelt. Zu den berühmten Vertretern dieser Vorstellung gehörte z. B. der französische Naturforscher Georges Cuvier (1769–1832). Sie konnten sie nicht vorstellen, dass Gebirge das Resultat von geologischen Prozessen seien, die über Jahrtausende wirkten. Stattdessen vertraten sie die Auffassung, dass Vulkanausbrüche sowie plötzliche Hebungen und Senkungen der Erde auf eine göttliche Fügung zurückzuführen seien und auf natürliche Gesetzmäßigkeiten.

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