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Montag 26. Oktober 2009 - 16:17 Uhr
Kategorie: Blog
Von: Jan

Besuch im Neuen Museum in Berlin


Am 17. Oktober öffnete das frisch renovierte Neue Museum in Berlin seine Türen der breiten Öffentlichkeit, nachdem es am Tag zuvor nur geladenen Gästen und Pressemitgliedern einen exklusiven Einblick gewährt hatte. In der folgenden Zeit gingen hauptsächlich zwei Themen im Zusammenhang mit dem Neuen Museum durch die Medien: die Schönheit der Nofretete und das Konzept des Architekten David Chipperfield, Altes mit Neuem zu verbinden und bewusst Kriegsspuren sichtbar zu lassen. Von der Abteilung für Ur- und Frühgeschichte bekam man jedoch nur sehr wenig mit, abgesehen vom Berliner Goldhut.

 

Zeitkarten im Voraus kaufen

Um dieser relativ einseitigen Berichterstattung eine Abhilfe zu schaffen, haben wir selbst das Neue Museum am vergangen Samstag besucht. Da es zurzeit einen regelrechten Ansturm auf das Gebäude gibt, ist man dazu gezwungen, sich eine sogenannte Zeitkarte im Voraus zu kaufen. Einfach zum Neuen Museum hingehen und eintreten ist leider nicht möglich. Unsere Zeitkarte konnte lediglich im Zeitraum von 16:00 bis 16:30 Uhr eingelöst werden, dafür konnten wir nach dem Eintritt solange bleiben wie wir wollten.

 

Volles Haus – Danke Nofretete!

Wer schon einmal in dem Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte zu Besuch war als dieses noch im Schloss Charlottenburg einquartiert war, wird sich an eine gewisse Besucherarmut und die damit verbundene Ruhe in den Ausstellungsräumen erinnern. Davon war am Samstag nichts mehr übrig. Gedränge in den Gängen und auf den Fluren: das Haus war randvoll. Die Ursache war weniger die Ausstellung zur Vorgeschichte. Nofretete zog und zieht alle Besucher wie Fliegen an. Mit einseitigen Überschriften wie „Neuer Thron für Nofretete“¹, „Nofretete ist das Highlight“² oder „Nofretete Supterstar“³ unterstützte die Presse den eindimensionalen Nofretete-Wahn.

 

Im Bereich für Ur- und Frühgeschichte war es nicht ganz so erdrückend. Das hatte zwei gute Gründe: die Ausstellungsräume waren ganz oben im dritten Stock und … es ist eben Ur- und Frühgeschichte! Viele Besucher huschten in Minuten durch die Zimmer zur Urgeschichte und nahmen sich wenig Zeit, die Stücke auf sich wirken zu lassen. Mit Schmunzeln konnte man die Kommentare der Besucherinnen, es waren wirklich überwiegend Frauen, zu den Faustkeilen mithören: „Oh! Ein Stein!“ Von der männlichen Seite gab es hier auffallend mehr Interesse. Dafür trafen wir wiederum auf sehr viele Frauen als wir den  „Sternensaal“ mit dem goldglänzenden Berliner Goldhut betraten -  aber das nur nebenbei.  

 

Was gibt’s Neues?

Im Bereich zum Paläolithikum sind ein paar neue Ausstellungsstücke zu sehen gewesen. Die Neandertalerfrau von Le Moustier wurde rekonstruiert und ein Gesichtsmodell sowie eine Stereolithographie dazu gezeigt. Dafür vermissten wir die Schädelmodelle des Australopithecus africanus und anderer älterer Hominiden wie dem Homo erectus. Ein lebensechter älterer Homo sapiens sitzt in einer Ecke des Raumes und formt aus Ton eine Venusfigur. Das Gesicht wirkt sehr echt und für einen Moment glaubten nicht nur wir sondern auch andere Besucher, einen echten Menschen vor uns zu haben. Dem Paläolithikum wird eine kleinere Rekonstruktion mit einer Höhlenszene gewidmet. Zum Mesolithikum gab es eine anschauliche Rekonstruktion zu einer Siedlung am Wasser mit Fischernetzen, Häusern und Einbäumen. Letztlich werden Alt-, Mittel- und Jungpaläolithikum sowie Mesolithikum in einem Saal fragmentarisch ausgestellt. Wir hatten hier etwas mehr erwartet.    

 

Neolithikum, Kupfersteinzeit und Bronzezeit werden im Verhältnis zum Paläolithikum sehr erschöpfend thematisiert. Die Säle zeigen hierzu viele neue Gegenstände, die es in Charlottenburg nicht zu sehen gab. Allerdings sollte man die Ausstellungsstücke kritisch betrachten: auffallend veraltet wirkt die Rekonstruktion eines bandkeramischen Hauses, wenn man an diejenige aus dem Museum in Halle an der Saale denkt. Die Rekonstruktion dort (in Halle a. d. Saale) wurde nämlich nach dem Vorschlag von Dr. Rück mit einem abgehobenen Fußboden angefertigt. Der daneben liegende Nachbau eines Schuhleistenkeils entspricht jedoch realistischen Vorstellungen.

In drei anschließenden kleinen Nebenzimmern können Filme gesehen und Werkzeuge in die Hand genommen werden. Letzteres kam besonders bei den kleinen Besuchern gut an.

 

Im Sternensaal trifft der Besucher auf den Berliner Goldhut, dessen kalendarische Funktion neben anderen Kalendern aus der Vorgeschichte anhand kurzer Texte erläutert und damit in einen größeren Kontext gestellt wird. Die Bronzezeit wurde stark aufgerüstet mit drei Schwerpunkten versehen: Chronologie und Leitformen, Depots und Opferungen und Gusstechniken. Hier können Herstellungstechniken anhand zahlreicher Ausstellungsstücke nachempfunden werden. Daneben werden Leitformen der Früh-, Mittel- und Spätbronzezeit ausgestellt (Beile und Nadeln). Depots und Opferungen werden in Verbindung mit vielen exzeptionellen Funden (z.B. Goldschatz von Eberswalde) umfassend thematisiert.

 

Einen Saal weiter trifft man auf die Eisenzeit, in der es zwar neue aber letztlich viel weniger Funde zu sehen gibt. Höhepunkt dieses Abteils sind die Originalfunde aus La-Tène.

 

In der letzten Station, dem Roten Saal,  können weitere Fundstücke aus sämtlichen Epochen in antiken Vitrinen bestaunt werden: sofern man es schafft, seine Augen auf die schlechten Lichtverhältnisse einzustellen und durch die stark spiegelnden Gläser zu schauen! Zu schade, dass gerade in diesem Raum wichtige Schwerter aus der Bronzezeit ausgestellt sind. Der Raum an sich ist zu dunkel, als dass man dort etwas ohne störenden Blitz fotografieren könnte.

 

Abschließend kann festgehalten werden, dass das Neue Museum eine sehr gute umfangreiche Ausstellung zur Ur- und Frühgeschichte zeigt, in der das Neolithikum und die Bronzezeit die eigentlichen Höhepunkte sind. Paläolithikum, Mesolithikum und Eisenzeit treten vergleichsmäßig kurz auf, sind aber dennoch sehenswert. Wer das Neue Museum besuchen möchte,  sollte sich rechtzeitig einige Tage vorher um die notwendigen Zeitkarten bemühen und viel Zeit mitbringen.

Links

  1. http://diepresse.com/home/kultur/kunst/515655/index.do?_vl_backlink=/home/kultur/kunst/index.do
  2. http://www.nachrichten.at/nachrichten/kultur/art16,279324
  3. http://www.berlinerumschau.com/index.php?set_language=de&cccpage=26102009ArtikelPanoramaIMuellermertens1
  4. http://www.berlinerumschau.com/index.php?set_language=de&cccpage=26102009ArtikelPanoramaIMuellermertens1http://www.neues-museum.de/
  5. http://www.wiederaufbauneuesmuseumberlin.de/
  6. http://de.wikipedia.org/wiki/Neues_Museum_%28Berlin%29
  7. http://www.art-in-berlin.de/incbatektur2.php?id=1628

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