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Donnerstag 4. März 2010 - 15:33 Uhr
Kategorie: Blog, Top
Von: Jan

Neue Gedanken zur Ausstellung im Neuen Museum

Anlässlich eines erneuten Besuches im Neuen Museum in Berlin soll eine weitere Kritik an der Ausstellung zur Ur- und Frühgeschichte dargelegt werden. Wir hatten bereits am 26. Oktober 2009 über die Ausstellung berichtet.


Wer bereits das Museum für Ur- und Frühgeschichte in Halle an der Saale besucht hat oder das niedersächsische Landesmuseum in Hannover, dem werden im Nachhinein diverse Lebensbilder, liebliche Dioramen und zahlreiche interaktive Betätigungsmöglichkeiten im Gedächtnis geblieben sein. Modernere Museen beschränken sich also nicht mehr auf das reine Ausstellen von Fundobjekten. Der Besuch soll zu einem attraktiven und lehrreichen  Ereignis werden – möglichst für jeden Interessierten und Studenten.

 

Museen versuchen diesen Vorsatz der attraktiven Wissensvermittlung unter anderem durch Dioramen und Animationen (beliebt ist hier die Evolution des Menschen) zu erreichen. In Halle an der Saale und im Neandertalmuseum im Mettmann sind lebensgroße nachgestellte Neandertalerfiguren zu sehen. Die Vergangenheit wird plastisch und in Lebensgröße vermittelt. Lebensbilder illustrieren zusätzlich die Urgeschichte zu bestimmten Zeitpunkten. Diese bieten in der Regel durch die Wahl ihrer Motive auch Diskussionsstoff. Dadurch wird mancher Besucher dazu angeregt, sich auch nach dem Ausstellungsbesuch mit der wissenschaftlichen Archäologie zu befassen und das Museum weiterzuempfehlen.

 

Den Besuchern soll aber nicht allein ein möglichst plastisches und buntes Bild der Vorgeschichte vermittelt werden. Sie sollten eine direkte (vielleicht sogar emotionale) Beziehung zur Vergangenheit aufbauen können. Dies kann unter anderem durch diverse Angebote steinzeitlicher Handwerkstechniken erreicht werden. Dazu wird das Bohren eines Loches in eine Axt, das Verarbeiten von Getreide mit einem Reibstein oder etwa das Schlagen von Steinen gezählt. Alle diese drei Angebote gibt es beispielsweise im Museum für Ur- und Frühgeschichte in Wolfenbüttel. Das Museum für Ur- und Frühgeschichte in Weimar bietet neben ähnlichen Dingen zum Anfassen und Selbermachen auch einen nach gebauten bandkeramischen Hausteil, in dem man sich begeben kann (das Museum in Wolfenbüttel hat übrigens auch ein solches Haus). Im Landesmuseum in Hannover gibt es zwar kein haus zum Betreten dafür jedoch ein 3D-Modell eines solchen an einem Computer. Der Besucher kann mittels einer Maus sich durch dieses Modell zu bewegen und sich darin umzusehen. In Halle an der Saale werden aufwändige Blockbergungen von Bestattungen ganzer Familien senkrecht an die Wände gehängt und in Szene gesetzt. Das ist für viele Besucher eine vollkommen andere Wahrnehmung, die im Gedächtnis bleibt. 

 

Kommen wir auf die Wissensvermittlung für Studenten zurück. Bei all den interaktiven Möglichkeiten sollten deutlich erkennbare Chronologiesysteme (Epochennamen und Datierungen), Verteilungskarten von Fundplätzen und Leitformen und eine Vielfalt der Ausstellungsstücke selbst nicht vergessen werden. Besucher sollten zu jedem Zeitpunkt wissen, in welchen Zeitraum die Funde datiert werden und sowohl die Fachbegriffe als auch die Definitionen der ausgestellten Objekte einsehen können.

Besonders spannend wäre es außerdem, wenn Museen auf aktuelle, unterschiedliche Interpretationen und Modelle eingehen würden (Struktur neolithischer Siedlungen oder etwa Theorien zum Aussterben des Neandertalers). Was von alldem gibt es im Neuen Museum in Berlin?

 

 

Bereich Alt- und Jungsteinzeit und Mesolithikum

Wer diesen Raum betritt und sich mit der Steinzeit nicht gut auskennt, der wird denken, dass alles mit Faustkeilen begonnen hat. Chopper und pebble tools fehlen in den Vitrinen. Faustkeilen dagegen sind dort in vielfacher Ausführung zu sehen - das ist gut. Eine Computeranimation zeigt auf Knopfdruck die Evolution des Menschen und die Entwicklung des Klimas vom Altpaläolithikum bis heute. Das Video dauert dafür einige Minuten aber wer ins Museum geht, sollte sich diese Zeit auch mitnehmen – es lohnt sich. Man sieht, wann wo welche Hominiden entstanden sind und wie sie sich ausgebreitet haben sollen. Eine Leiste gibt die Populationszahlen zu dem jeweiligen Zeitpunkt an. Darüber kann man sicher diskutieren aber interessant ist es allemal. 

 

Einige Schritte davon entfernt ist der Schädel aus Le Moustier in einer Vitrine. Dieser und derjenige aus Combe Capelle gehören zu den sehenswertesten Ausstellungsstücken des Paläolithikums. Vom Schädel von Le Moustier wurden eine Lithographie und eine Gesichtrekonstruktion hergestellt. Damit ist ein interessanter Einblick in moderne Möglichkeiten und Arbeitsweisen der archäologischen Forschung gegeben, der über das reine Ausstellen und zeigen hinausgeht – ein Pluspunkt. Zuzüglich wurde die Bestattung von Le Moustier in einer größeren Vitrine nachgestellt. In der alten Ausstellung im Schloss von Charlottenburg war es diejenige von Combe Capelle. An einer anderen Wand sind die Skelette vom modernen Menschen und vom Neandertaler nebeneinander zu sehen. Der Besucher soll diese vergleichen können – das ist wichtig und richtig so.

 

Dieser Ausstellungsbereich hat also einiges an Potential. Eine Karte mit den eponymen Fundplätzen für paläolithische Epochen ist auch für Studenten eine gute Sache. Was in diesem Bereich aber wirklich nicht ausreichend thematisiert wird, sind unterschiedliche Schlagtechniken der Artefaktherstellung oder etwa ein Schaubild mit entsprechenden Begriffen zum Bestimmen von Artefakten. Die Diskussion, ob Neandertaler Kunst selber machen konnten und was zu ihrem Aussterben geführt haben könnte, wird nicht wirklich aufgegriffen. Das paläolithische Höhlendiorama ist leider nicht genug ausgeleuchtet – nicht jeder Besucher wird darin viel erkennen können (aber vielleicht ist das auch so gewollt?). Die Schädel von Vormenschen fehlen. Wer diesen Raum verlässt, weiß nicht wie ein Australopithecus afarensis ausgesehen hat.

Ein Diorama mit paläolithischen Behausungen wie Hütten oder Zelten wäre spannend zu sehen gewesen – an dieser Stelle hätten Fundplätze wie Olduvai, Bilzingsleben, Grotte du Lazaret oder Kostienki, aufgegriffen werden können. Das passiert jedoch nicht. Jungpaläolithische Venusfiguren? Fehlanzeige. Die Höhlenmalerei und ihre Rolle im jungpaläolithischen Leben kommen eindeutig zu kurz.

 

Verwirrend ist übrigens, dass in dem Raum zwischen dem Paläolithikum und dem Neolithikum zwei Figuren, nämlich ein Eber (6.-5. Jahrtausend v.Chr.) und ein Pferd (18000 bis 12000 v.Chr.) zu sehen sind, die in der alten Ausstellung im Schaukasten der jungneolithischen Trichterbecherkultur (4400 bis 2700 v.Chr.) ausgestellt wurden.

 

 

Bereich Neolithikum

Wer durch die Ausstellung zum Neolithikum läuft, wird von Kreisgrabenanlagen und Megalithen oder gar bandkeramischen Siedlungen bzw. und Häusern wenig mitbekommen. Eine übersichtliche Chronologie zum Neolithikum werden gerade die Studenten vermissen. Man sich jedoch ein bild einer chronologie erstellen, wenn man genau auf alle Tafeln und Ssteckbriefe achtet. Bei der Bandkeramik ist ein kleines Hausmodell und eine Verteilungskarte zu sehen. Hier hätte man auf das Siedlungswesen näher eingehen und das Hofplatz- sowie das Zeilensiedlungsmodell vorstellen können. Das hätte ausreichend Stoff für eine spannende Diskussion gegeben unter den Besuchern gegeben. Ausnahmefundplätze (für Gewaltanwendung) wie Talheim und Herxheim hätten außerdem angesprochen werden können. Dafür wird immerhin die „secondary products revolution“ kurz dargestellt und auf Domestikation von Haustieren eingegangen.

In einem Nebenzimmer können unterschiedliche Felle neben einem Webstuhl "befühlt" werden. Dazu wird auf Dendrochronologie aufmerksam gemacht.

Bereich Bronzezeit

Das bronzezeitliche Bewusstsein für Zeit wird im Raum mit dem Berliner Goldhut vorgestellt und kann anschließend von den Besuchern diskutiert werden. Das ist gut. Der Rest der Bronzezeit ist Gusstechniken, Horten, Depots und Opfern sowie einer Lure gewidmet, die in regelmäßigen Abständen traurig anmutende Klänge von sich gibt. Eine Vitrine klärt über Leitformen der frühen, mittleren und späten Bronzezeit auf – das ist sinnvoll. Was hier allerdings fehlt, sind Fachbegriffe für die einzelnen Objekte (Rudernadel, Scheibennadel, Absatzbeil, Wendelhalsring, Schalenknaufschwert etc.).

Bronzezeitliche Häuser, Siedlungen oder Bestattungssitten und Fürstengräber (Leubingen, Seddin) werden nicht aufgegriffen. Wer durch diesen Raum durchgegangen ist, wird außerdem nicht wissen, dass es eine Nordische Bronzezeit nach Montelius, eine Hügelgräberbronzezeit oder eine Urnenfelderzeit jemals gegeben hat – von Reineckestufen zur Gliederung dieser Zeit ist wenig in Sicht. Die Präsentation bronzezeitlicher Horte/Depots und Opferungen ist wirklich sehenswert aufgearbeitet worden aber es wird im Gegenzug zuviel weggelassen – Lebensbilder und Dioramen oder Blockbergungen zum Ansehen gibt es keine. Das ist schade. Auch auf die zahlreichen Funde mit bronzezeitlicher Kleidung oder das Phänomen der „fremden Frau“ wird nicht eingegangen. Was ist mit Pfahlbauten und Uferrandsiedlungen? Kein Wort hierzu.

 

Bereich Eisenzeit

Hier ist aus dem Gräberfeld von Hallstatt wenig zu sehen. Keine Pilzknaufschwerter, keine Kegelhalsgefäße, keine getreppten Teller (dafür jedoch eine Stufenschale). Wagenbeigaben in reicheren Bestattungen oder hallstattzeitliches Bestattungswesen sind nicht anzutreffen.

Aber durchaus sehenswert ist/sind: die Funde aus Schwarzenbach, einige latènezeitliche Fibeln und Schnabelkannen, keltische Münzen, eine Cäsarbüste, ein Brustpanzer, ein Kurganmodell (!) Originalfunde aus La Tène, die Linsenhalsflasche aus Matzhausen, Negauer Helme, der Helm von Canosa und diverse skythische Artefakte. Auch der frühe Latènestil in der keltischen Kunst wird erklärt. Der Waldalgesheim-Stil und der Späte Stil (plastischer Stil und Schwertstil) sind dagegen nicht zu sehen – wäre schön gewesen.

Auch Häuser und Siedlungen sowie Moorleichen oder grundlegende Dinge wie ein überschaubares Chronologieschema werden nicht erwähnt/gezeigt. Fürstengräber, Fürstensitze, Oppida, murus gallicus, Viereckschanzen oder einfache Hausmodelle etc fehlen. Die Rolle von Krieg und Tod in der keltischen Gesellschaft oder der Prozess der Romanisierung werden nicht wirklich thematisiert. Der Bereich zur Eisenzeit hält dafür für Besucher sehr viele wertvolle Einzelstücke parat.

 

 

Ist die Ausstellung sehenswert?

Spannende Originalfundstücke aus Latène, Le Moustier, Combe Capelle, die Linsenhalsflasche aus Matzhausen, der Berliner Goldhut oder die Funde aus Schwarzenbach etc. laden durchaus zum Besuch des Museums ein. Ein Bezug zu aktuellen Diskussionen in der Forschung wird nicht in jedem Ausstellungsbereich hergestellt. Gegenüberstellungen von verschiedenen Modellen (Bsp. Bandkeramischen Siedlungswesen und Häuserbau) werden nicht gemacht. Teilweise werden Fachbegriffe von einzelnen Objekten nicht genannt, Chronologieschemata fehlen, die Verbreitungskarten sind nur für wenige Artefakte gegeben. Im Neolithikum und im Bereich zur Eisenzeit sind einige Karten anzusehen. Zur Eisenverhüttung hätte ein Ofenbefund gezeigt werden können. Lebensbilder fehlen. Die Vergangenheit wird größtenteils nur in Artefaktform wiedergegeben. Auf das vorzeitliche Siedlungswesen wird in allen Ausstellungsbereichen nur marginal bzw. gar nicht eingegangen.

Man kommt dem prähistorischen Menschen nicht richtig nahe. Alltägliches Leben, Jenseits- oder Religionsvorstellungen, Konflikte oder Sozialstrukturen etc. werden dem Besucher nicht näher gebracht. Die Ausstellung ist nicht emotional. Sie fasziniert und berührt den durchschnittlichen Besucher nicht.  Das interaktive Angebot ist sehr beschränkt: im Bereich zum Neolithikum gibt es zwei Nebenräume, in denen man Dinge ausdrücklich anfassen und selbst erfahren soll. Kinder werden sich vermutlich dennoch nach 30-40 Minuten Aufenthalt langweilen.

 

Letztlich kann man zur Ausstellungen sagen, dass sie sich durchaus für einen Besuch lohnt. Dass sie die Besucher in einen Bann zieht, der zum Wiederkommen verführt, ist eher nicht der Fall.


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