Heinrich Schliemann

Autor: Stefanie Samida

Kategorie: Monographien

Verlag: A. Francke, UTB

Zusatz: Kurzbiografie

Schwierigkeitsgrad: Anfänger

erster Eindruck

Eine gelungene Kurzbiographie.

 

Beschreibung

Die vorliegende Publikation "Heinrich Schliemann" wurde von Dr. Stefanie Samida verfasst. Es handelt sich hierbei um eine Kurzbiographie des Kaufmannes und archäologischen Autodidakten Heinrich Schliemann, die im Frühjahr 2012 bei A. Francke in der Reihe UTB-Profile erschienen ist. Sie beginnt zunächst mit einer umfangreichen Einführung und einem kurzen Resümee über Heinrich Schliemanns Bedeutung für die Entwicklung der archäologischen Fächer. Im Anschluss führt sie die wichtigsten Schriften zum Leben und Wirken Schliemanns bis zum Jahr 1990 an, um danach ihre Vorgehensweise und damit die Begründung einer erneuten Bearbeitung des Themas Heinrich Schliemann zu geben. Ihr Hauptziel ist es hierbei – abweichend von älteren Biographien – nicht dessen Leben chronologisch korrekt wiederzugeben, sondern anhand einzelner Schlagworte, die zugleich die Kapitelüberschriften bilden, den Charakter Schliemanns zu untersuchen (S. 10-11). So ist es für die Autorin vielmehr „von zentraler Bedeutung […] Konturen zu zeichnen, also Schliemanns Leben und Verständnis von Archäologie kurz und knapp zu umreißen […]“ (S. 11). Die Einleitung schließt mit einer biographischen Skizze, aus der bereits deutlich wird, dass Heinrich Schliemann ein Kind seiner Zeit war (S. 13-16).

 

Das erste Kapitel widmet sich unter dem Titel „Der Träumer“ zunächst dem von Schliemann in seinen eigenen Schriften postulierten Kindheitstraum das epische Troja des Homer zu finden. Eine, so Samida (S. 19), von ihm offenbar bewusst in Umlauf gebrachte Halbwahrheit, die später vielfach aufgegriffen und weiterverbreitet worden ist. Auffällig ist nach den Ausführungen der Autorin, dass Heinrich Schliemann offenbar einem zu jener Zeit verbreiteten bürgerlichen Ideal folgt (S. 21). Was ihn von vielen seiner Standesgenossen unterschieden hat, war seine fast religiöse Homergläubigkeit, die, gepaart mit häufig plakativen Behauptungen, seine Anerkennung in der deutschsprachigen Fachwelt erschwerte. In seiner selbstfinanzierten Ausgrabungstätigkeit folgte Schliemann den gängigen Methoden jener Zeit (S. 25).  Die oben genannte Textgläubigkeit durchdrang zudem sein ganzes Leben, sodass er die Kinder aus seiner zweiten Ehe Andromache und Agamemnon nannte sowie die Bediensteten seiner Athener Villa für die Dauer ihrer Dienstzeit homerische Namen annehmen mussten (S. 26-27). Das Kapitel endet schließlich mit einer für die Klassische Archäologie und Kunstgeschichte typischen, formenanalytischen Beschreibung[1] von Schliemanns Mausoleum auf dem Zentralfriedhof von Athen.

 

Da Heinrich Schliemann „[…] den klassischen Wirtschaftsbürger und Selfmademan des 19. Jahrhunderts […]“ darstellt (S. 30), widmet sich das zweite Kapitel dem „Geschäftsmann“ Schliemann. Dieses Kapitel weist hierbei die stärkste chronologische Stringenz auf, da die Autorin hier die frühen Lebensjahre ihres Untersuchungsobjektes darlegt und ein Augenmerk auf seinen wirtschaftlichen Erfolg und seine Reisen legt. Der zweite Teil des Kapitels widmet sich dem „Geschäftsmann im Archäologen“. Samida zieht hierzu Schriftquellen zu Schliemanns Umgang mit den osmanischen Behörden nach der Entdeckung des Schatzfundes A (ehemals „Schatz des Priamos“), zu dessen Sicherung er nicht vor illegalen Methoden zurückschreckte (S. 36-38) und zu den Verhandlungen über die Aufstellung desselben im Ethnologischen Museum in Berlin heran (S. 39-40). Hierbei wird, wie schon im ersten Kapitel und den folgenden deutlich, dass er aufgrund seines Charakters bei diversen Persönlichkeiten anecken musste.

 

Im dritten Kapitel, das den Titel „Der Kosmopolit“ trägt, geht Stefanie Samida nach einer kurzen Einleitung zu den technologischen Fortschritten des 19. Jahrhunderts vor allem auf die umfangreichen Reisen Schliemanns ein. Sie schreibt hier von seinen Europa- und Weltreisen von denen sich umfangreiche und in mehreren Sprachen verfasste Tagebücher erhalten haben. Einer der Gründe für diese umfangreichen Reisen scheint nach den Ausführungen der Autorin auch die zerrüttete erste Ehe Schliemanns gewesen zu sein. So scheint es, dass Schliemann nach der Aufgabe seines Handelshauses in St. Petersburg[2] nur die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hat, um sich von seiner Ehefrau scheiden lassen zu können (S. 48). Den Abschluss des Kapitels bildet eine kurze Darlegung zu den Sprachkenntnissen des selbsterklärten Sprachgenies Heinrich Schliemann, dessen eigene Angaben Stefanie Samida zu recht anzweifelt (S. 50).

 

Das umfangreichste Kapitel Nummer vier widmet sich dem Archäologen Schliemann. Die Einleitung des Kapitels bildet die Definition des Faches Ur- und Frühgeschichte/Prähistorische Archäologie und dessen Abgrenzung zu den bereits im 19. Jahrhundert akademisch etablierten archäologischen Fächern (S. 54-55). Es folgt eine kurze Ausführung zu den bereits in der Antike einsetzenden Versuchen der Lokalisierung Trojas die sich auf die in der Troas gelegenen Hügel Balıdağ und Hisarlık fokussierten. Um Anschluss geht die Autorin auf die Grabungen Schliemanns an letzterem Ort ein in deren Verlauf sie auch die Bedeutung des Architekten Wilhelm Dörpfeld für die Grabungen eingeht sowie hervorhebt, dass die Schliemann im 20. Jahrhundert häufig vorgeworfene, nach heutigen Maßstäben unwissenschaftliche, Ausgrabungspraxis zu jener Zeit auch auf von Fachleuten durchgeführten Grabungen Anwendung fand (S. 59). Das Unterkapitel „Schliemanns Helfer und Kritiker“ widmet Samida weiteren Wegbegleitern, wie dem Linguisten Max Müller und dem Mediziner Rudolf Virchow sowie seinen Kritikern (z.B. dem Archäologen Ernst Curtius) (S. 62-65). Den thematischen Abschluss zu Schliemanns Arbeiten in und zu Troja bilden Erläuterungen zu neueren wissenschaftlichen Arbeiten zu diesem Thema, in erster Linie die durch Manfred Korfmann (†) und Ernst Pernicka durchgeführten und bis heute andauernden Grabungen. Die zwei folgenden Unterkapitel widmen sich den Grabungen Heinrich Schliemanns in Mykene, Orchomenos und Tyrins deren aufgedeckte Befunde er eng mit den homerischen Epen verknüpfte und interpretierte. Interessant ist hier die Schliemann zugeschriebene aber von ihm niemals verwendete Bezeichnung der „Maske des Agamemnon“ (S. 71-72). Den Abschluss des Kapitels bildet eine wissenschaftlich-kritische Würdigung der Arbeit Heinrich Schliemanns und dessen Bedeutung für die Entwicklung der Prähistorischen Archäologie.

 

Kapitel 5 widmet sich der publikatorischen Tätigkeit Schliemanns. Samida führt seinen medialen Erfolg hier auf seine regen und meist blumig geschriebenen Artikel in der Augsburger Allgemeinen Zeitung zurück, die in jener Zeit zu den bedeutendsten Blättern des deutschsprachigen Raumes gehörte (S. 81-82). Auch hier weist sie auf die durch Schliemanns Charakter bedingten Konflikte mit dem Blatt hin, die schließlich 1875 zu einem Bruch führten (S. 94). Des Weiteren geht die Autorin auf das Verhältnis Schliemanns zu dem Leipziger Verleger Eduard Brockhaus ein, der seine Monographien veröffentlichte. Auch die kritische Berichterstattung zu den Arbeiten Schliemanns findet unter anderem am Beispiel des Satire-Magazins Kladderadatsch Würdigung. Im Folgenden stellt Stefanie Samida die unterschiedliche Aufnahme der schliemann’schen Thesen in der englischen und deutschen Fachwelt gegenüber (S. 94-98). Die meist positive Rezeption seiner Arbeiten führt sie auf die Fürsprache des damaligen englischen Premierministers William E. Gladstone – ebenfalls ein begeisterter Hobby-Homerforscher – zurück. Dem letzten Unterkapitel „Schliemann – ein ’’Medienstar’’?“, das sich den zahlreichen Anfragen in- und ausländischer Presse an Heinrich Schliemann nach Artikeln aus seiner Feder widmet, geht zunächst ein kurzer Exkurs zur Popularisierung der Archäologie im 19. Jahrhundert voraus (S. 98-100) in dem die Autorin darauf hinweist, dass neben Schliemann auch die meisten anderen Ausgräber ihre Ausgrabungsergebnisse in Tages- und Wochenzeitungen publizierten, um so die Öffentlichkeit über ihre Arbeiten zu informieren. Der Erfolg Schliemanns, so Samida, liege darin begründet, dass dieser die spektakuläreren Funde vorzuweisen hatte (S. 100). Das letzte Unterkapitel (Titel s.o.) handelt von den Korrespondenzen Schliemanns mit den diversen Blättern im In- und Ausland, aber auch von der von ihm bewusst geförderten Klischeebildung über das Fach Archäologie.

 

Das sechste Kapitel widmet sich der streitbaren Natur Heinrich Schliemanns. Stefanie Samida zieht hier seine öffentlich und meist sehr persönlich ausgetragenen Dispute mit Vertretern der deutschen Altertumswissenschaft und dem ehemaligen Artilleriehauptmann Ernst Boetticher – wie Schliemann archäologischer Laie. Besondere Beachtung verdienen hierbei die Resümees beider Unterkapitel, die die Problematik und den Gründe des langen Anhaltens der Konflikte sehr gut zusammenfassen (S. 108; S. 112). Des Weiteren verweist die Autorin als rezente Parallele auf den bis vor wenigen Jahren schwelenden Streit zwischen dem Troja-Ausgräber M. Korfmann und dem Althistoriker F. Kolb (S. 111). Den Abschluss des Kapitels bildet eine kurze Darstellung der durch gegenseitigen Nutzen geprägten, aber nicht immer harmonischen Freundschaft zwischen Heinrich Schliemann und Rudolf Virchow.

 

Das letzte Kapitel – „Schliemanns Erbe“ – widmet sich der Rezeption der schliemann’schen Arbeiten, beginnend mit seinem ersten Biographen Emil Ludwig, dessen Arbeit maßgeblich zu dem bis heute verbreiteten Schliemann-Bild beigetragen hat. Das zweite Unterkapitel geht auf den durch den Schriftsteller C.W. Ceram mit seinem Buch Götter, Gräber und Gelehrte verbreiteten „Mythos Schliemann“ und das mit diesem verbundene Bild des Archäologen ein. Samida kritisiert den sehr plakativen und auf das „Suchen und Finden“ fixierten Schreib- und Erzählstil Cerams. Im Anschluss geht sie auf die erst Ende des 20. Jahrhunderts einsetzende quellenkritische Auseinandersetzung mit dem Wirken Schliemanns ein, die zunächst zu einer „Dekonstruktion eines Mythos“ (S. 120) führte, da die negativen Eigenschaften Schliemanns betont worden sind, bis 1990 jedoch auch zunehmend differenzierter stattfand. Im Anschluss geht die Autorin kritisch auf den  derzeitigen Umgang der Öffentlichkeit mit den Themen „Schliemann“ und „Archäologie“, die meist synonym verwendet werden, ein und das von Heinrich Schliemann gemalte, meist überzeichnete Bild seiner Arbeit am Leben halten. Die folgenden beiden Unterkapitel widmet die Autorin drei wichtigen Station in Schliemanns Leben. Zum einen ist hier Hisarlık als Schliemanns wichtigste Wirkungsstätte zu nennen, das bis heute bedingt durch seine Schriften als homerisches Troja bezeichnet wird und als dieses touristisch erschlossen ist. Eine Interpretation die nach Stefanie Samida durchaus kritisch zu betrachten ist. Des Weiteren nennt sie Schliemanns Geburtsort Ankershagen in Mecklenburg-Vorpommern und Athen als seinen erwählten Wohnsitz und Begräbnisort. Den Abschluss des Kapitels, wie auch des Buches bildet dann ein Ausblick Samidas auf bis dato wenig beachtete Forschungsfelder im Zusammenhang mit der Person Heinrich Schliemann. Zu nennen sind, so die Autorin, die Untersuchung seiner Tätigkeit als Kaufmann, seine Korrespondenzen mit dem Osmanischen Reich und eine Analyse der Rezeption archäologischer Themen in den Medien des 19., 20. und 21. Jahrhunderts.


[1] siehe dazu: T. Hölscher, Klassische Archäologie – Grundwissen (Darmstadt 2008) 85-91.

[2] H. Schliemann hatte mit der Eröffnung seines eigenen Kontors in der damaligen russischen Hauptstadt die russische Staatsbürgerschaft angenommen.

Fazit

Stefanie Samida gelingt mit diesem Buch eine kurze und gut verständliche Charakterisierung des Menschen Heinrich Schliemann. In sieben Kapiteln, die weniger chronologisch als vielmehr topologisch angeordnet sind, zeichnet sie die wichtigsten Linien des Charakters ihres Untersuchungs-„Objektes“ nach und bietet so ein vielschichtiges Bild einer bedeutenden Persönlichkeit des 19. Jahrhunderts. Ergänzt werden die Ausführungen zu Schliemann ferner an geeigneten Stellen durch nähere Erläuterungen zu Zeitgenossen, Orten, Fächern und Institutionen, die das Verständnis des Textes auch bei geringem Ausgangswissensstand erleichtern bzw. willkommene Zusatzinformationen bieten.

 

Einziger Wehrmutstropfen sind die durch die nicht chronologische Vorgehensweise Samidas bedingten häufigen Wiederholungen einiger Sachverhalte in den einzelnen Kapiteln.

Nichtsdestotrotz oder auch gerade deshalb bietet dieses Buch dem Leser eine sehr gute und aufgrund der vielen Zitate aus Schliemanns Korrespondenzen auch wissenschaftlich fundierte Möglichkeit sich schnell und stichhaltig über Heinrich Schliemann zu informieren.

Details

Umfang: 144 Seiten

ISBN: 978-3825236502

Preis: 12,99 €

Buch Kauflink: Heinrich Schliemann

Datum der Rezension: 01.06.2012

Rezensent: Jens

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