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Faszination Moorleichen

Autor: Mamoun Fansa und Frank Both (Hrsg.)

Kategorie: Sammelwerke

Verlag: Philipp von Zabern

Schwierigkeitsgrad: Anfänger bis Fortgeschrittene

Webseite: www.zabern.de

Erster Eindruck

Status quo zu den Moorleichen im Landesmuseum Natur und Mensch: Sehr lesenswert!      

 

Beschreibung

Beim Torfstechen machen holländische Arbeiter einen unerwarteten Fund in einem Meter Tiefe: Sie stoßen auf eine noch sehr gut erhaltene männliche Leiche. Was nun geschieht, ist schier unbegreiflich: Auf der Suche nach Wertsachen zerstückeln sie den Körper mit ihren Spaten. Die Gier der Männer ist größer als der Respekt vor dem unbekannten Toten. Am Ende des Tages liegen die einzelnen Glieder des Leichnams achtlos auf dem Feld. Münzen oder andere kostbare Objekte hatten sie jedoch nicht gefunden. Ohne zu zögern hatten die Arbeiter binnen kurzer Zeit einen archäologischen Zufallsfund unschätzbaren Wertes (und dessen Kontext) mutwillig zerstört. Die Polizei kam am Abend vorbei und dokumentierte, was noch vorhanden war. Am Tag darauf wurde die Leiche in einer schwarzen Kiste außerhalb der Friedhofsmauern beigesetzt.

Was wie eine Gruselgeschichte klingt, hat sich tatsächlich 1920 in Edewecht am helllichten Tage abgespielt. Das Schicksal dieser Moorleiche ist nur eine von vielen Geschichten aus der Moorarchäologie, die Fansa und Both in „Faszination Moorleichen“ schildern.   

 

Das Heft Nr. 80 aus der Schriftenreihe des Landesmuseums Natur und Mensch in Oldenburg wurde unter dem Titel „Faszination Moorleichen. 220 Jahre Moorarchäologie" von Mamoun Fansa und Frank Both im Verlag Philipp von Zabern herausgegeben. Es ist eine von zwei neuen Begleitschriften zur aktuellen Sonderausstellung "O, schaurig ist's, übers Moor zu gehen" im Niedersächsischen Landesmuseum in Oldenburg 2011. 

Auf 120 Seiten gibt es Beiträge von Mamoun Fansa, Frank Both und einen von Julia Gräf. Sie werden mit 89 Farb- und weiteren s/w-Abbildungen illustriert. In den letzten Jahren wurden neue wissenschaftliche Untersuchungen an den Moorleichen aus dem Landesmuseum Natur und Mensch durchgeführt. Für die aktuelle Ausstellung „O, schaurig ist’s, übers Moor zu gehen“ wurden die Ergebnisse didaktisch aufgearbeitet, um sie in einem neuen Rahmen mit den Moorleichen pietätvoll präsentieren zu können. Fansa und Both haben hierzu die Entdeckungs- und Forschungsgeschichten zu den einzelnen Toten recherchiert. Zusammen mit den Erkenntnissen aus den jüngsten interdisziplinären Untersuchungen, die u.a. mit Rechtsmedizinern, Anthropologen und Archäobotanikern durchgeführt wurden, stellen sie die Moorleichen umfassend einem breiten Publikum vor. Dem Vorwort folgen 13 Beiträge über die Moorleichen aus dem Landesmuseum Natur und Mensch. „Faszination Moorleichen“ präsentiert fünf vollständig erhaltene Moorleichen sowie weitere partiell erhaltene Menschenfunde aus den Mooren des Weser-Ems-Gebiets. Die Funde datieren von der frühen Eisenzeit über das Mittelalter bis in das 19. Jahrhundert. Besprochen werden nicht nur die anthropologischen Aspekte wie Alter, Geschlecht, Krankheiten, Todesursache sondern auch Hinweise auf Ernährung, Aussehen und Kleidung. Der archäologische Kontext wird schließlich herangezogen, um die Umstände zu klären, unter denen die einzelnen Menschen ins Moor gelangten.

 

In dem Vorwort und dem einleitenden Text über „Die Moorleichen im Landesmuseum Natur und Mensch“ arbeiten die Autoren die wissenschaftliche Bedeutung und herausragende Stellung der Moorleichen für Archäologen heraus. Was diese Quellengattung so interessant macht, ist natürlich der besondere Erhaltungszustand. Unter Luftabschluss und zudem in einem feuchten Milieu, erhalten sich vergängliche Materialien. D.h. was einmal in ein Moor gelangt, bleibt darin für lange Zeit erhalten. In Niedermooren werden Knochen, pflanzliche Reste und Textilien durch das basische Milieu konserviert. Dagegen vergehen Haut und Haare in ihnen. Hochmoore sind aus chemischer Sicht sauer: Hier bleiben die Eingeweide erhalten und die Haut der Leichen wird durch chemische Prozesse gegerbt. Letztlich ist sie lederartig und erhält eine braun-schwarze Farbe. Die Haare verfärben sich rot, Knochen und pflanzliches Material zersetzen sich. D.h. an einer Moorleiche kann man erkennen, ob sie aus einem Hochmoor (Haut und Haare vorhanden) oder einem Niedermoor (Knochen und Kleidung konserviert) stammt. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, weshalb manche Moorleichen keine Knochen mehr enthalten und „plattgedrückt“ aussehen. Genug zum Moor, kommen wir nun zu den Protagonisten dieses Buches: Den Moorleichen.

 

Nach einem Überblick zur Forschungsgeschichte der Moorleichen im Weser-Ems-Gebiet, begeben sich die Autoren zu den konkreten Funden. Die erste Moorleiche, die in diesem Band  beschrieben wird, ist unter dem Namen Husbäke I bekannt geworden. Nachdem sie 1931 beim Torfstechen gefunden wurde, musste sie bereits 1950 „entsorgt“ werden. Den Forschern war nämlich nicht gelungen, es dem Moor gleichzutun und die Leiche dauerhaft zu konservieren. Während des Zweiten Weltkrieges verdunstete das Wasser, in dem sie eingelegt war, und eine Fäulnis befiel die Moorleiche. Für Archäologen ist dies natürlich ein tragischer Verlust. Etwas mehr Glück hatte man mit den vollständig erhaltenen Moorleichen von Husbäke II, Jührdenerfeld, Kayhausen, Esterweger Dose und dem Lengener Moor. Diese sind uns bis zum heutigen Tage erhalten geblieben und können im Museum besucht werden. Das Kind aus der Esterweger Dose und der Junge von Kayhausen konnten erst in diesem Jahr in die Ausstellung eingegliedert werden – ein Besuch lohnt sich auf jeden Fall. Dazu kommen Beiträge über Reste von Moorleichen: Der Hautrest einer Leiche aus dem Bareler Moor, der Schuhfund samt Fußknochen aus Südmentzhausen, die sterblichen Überreste von Jan Spieker und letztlich ein Zopf, den Arbeiter im 19. Jahrhundert im Moor entdeckten.

 

Die interdisziplinären Untersuchungen aus den letzten Jahren werfen ein neues Licht auf die Moorleichen des Museums in Oldenburg. Insbesondere auf den Jungen von Kayhausen und das Kind aus der Esterweger Dose. Dadurch, dass die Untersuchungen unterschiedlichen Experten überlassen wurden, konnten altbekannte Angaben über Alter, Geschlecht und Datierung bestätigt bzw. revidiert werden. Aus Frauen wurden Jungen und aus Jugendlichen Kleinkinder. Neue 14C-Datierungen ergänzen das Bild. Den sorgsamen Recherchen der Autoren ist es zu verdanken, dass in diesem Band erstmals längst verloren geglaubte Dokumente veröffentlich werden.

Alle neuen Ergebnisse findet man kompakt in diesem Band, weiterführende Literaturangaben inklusive. Der Kapitelumfang variiert zwischen zwei und siebzehn Seiten. Die Beiträge sind mit zahlreichen Abbildungen illustriert und verständlich geschrieben. Die Texte sind insgesamt sachlich geschrieben. Regelmäßig werden Zitate aus Untersuchungsdokumenten angeführt. Die Autoren verzichten auf phantasievolle Spekulationen und Opfer- bzw. Kulttheorien. Gerade deswegen eignet sich dieser Band zum Nachschlagen für Studierende. Man sieht sich dennoch zu keinem Zeitpunkt einer Flut an wissenschaftlichen Begriffen ausgeliefert. Wenn Fremdwörter vorkommen, werden sie erklärt. Röntgenaufnahmen, Detailfotos und dreidimensionale Darstellungen lassen den Leser an der Wissenschaft teilhaben. Die Erkenntnisse der Forschung werden nachvollziehbar vermittelt und nicht in Form von Behauptungen in den Raum gestellt. Durch die Gesichtsrekonstruktion des Mannes von Husbäke II wird der Vergangenheit ein Gesicht gegeben. Dass Rekonstruktionsmethoden alle ihre Vor- und Nachteile haben, ist bekannt. Trotzdem ist es richtig, dass sie angewendet werden und aus den anonym bzw. entstellt  wirkenden Gesichtern das rekonstruieren, worum es in der Archäologie geht: Den Menschen.

Fazit

Das Buch lässt uns an einer Reise durch die Geschichte der Moorarchäologie teilnehmen und gewährt Einblicke in komplexe wissenschaftliche Arbeitsweisen. Sowohl die Forschungsgeschichten als auch die jüngsten Untersuchungen an den Moorleichen aus dem Landesmuseum Natur und Mensch werden verständlich und sehr anschaulich vermittelt. Die Autoren bieten dabei Einblicke in den wissenschaftlichen Umgang mit dieser ebenso außergewöhnlichen wie sensiblen Quellengattung. Rückblicke in die Forschungsgeschichte machen deutlich, wie sehr auch archäologische Methoden und Interpretationen einem Zeitgeist verhaftet sind – damals wie heute. Im Gegensatz zu anderen Publikationen über Moorleichen ist "Faszination Moorleichen" keineswegs reißerisch und spekulativ. Es ist betont sachlich und dennoch verlieren die Moorleichen hierbei nichts von ihrer Ausstrahlung. Nach der Lektüre hat man mit der Moorarchäologie noch längst nicht abgeschlossen. Ein durch und durch gelungener Beitrag zur Geschichte und Methodik der Moorarchäologie.

Details

Umfang: 120 Seiten, 89 Farb- und weitere s/w-Abbildungen

ISBN: 978-3-8053-4360-2

Preis: 19,90€

Buch Kauflink: Faszination Moorleichen. 220 Jahre Moorarchäologie

Datum der Rezension: 12.07.2011

Rezensent:

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