Was ist ein Artefakt?

"Lochstab" aus dem Magdalénien, Gabriel & Adrien de Mortillet, Musée Préhistorique (Paris 1881).

Grundsätzlich können alle diejenigen Objekte, die vom Menschen zur Durchführung eines spezifischen Zwecks genutzt, modifiziert oder gar extra hergestellt werden, als Artefakte bezeichnet werden. Zur Herstellung von Artefakten können sehr unterschiedliche Rohstoffe zum Einsatz kommen. In der Ur- und Frühgeschichte wurden Artefakte insbesondere aus Silex, Felsgestein, Knochen, Holz, Keramik, Zähnen, Elfenbein, Glas, Kupfer, Bronze, Eisen, Gold, Silber usw. hergestellt. Weil die Prähistorische Archäologie den größten Abschnitt in der Menschheitsgeschichte umfasst, liegt es auf der Hand, dass die Bandbreite an potentiell auffindbaren Artefakten aus der Ur- und Frühgeschichte enorm groß ist. Bedenkt man den Umstand, dass der als „Steinzeit“ bezeichnete Abschnitt über 90% der Menschheitsgeschichte umfasst, ist es nicht verwunderlich, das ist eine große Vielzahl an Steinartefakten gibt.

Mit Hinblick auf die Vielfalt an materieller Kultur und die unterschiedlichen Aufgaben, die ein Artefakt erfüllen konnte, ist es nicht einfach, Artefakte zu erkennen und zu bestimmen. Ein weiteres Hindernis stellt der Erhaltungszustand der ausgegrabenen Objekte selbst dar. Komplett erhaltene Funde sind eine Ausnahme. In der Regel fördern Ausgrabungen Artefakte zutage, von denen lediglich Fragmente und Bruchstücke erhalten sind. Es liegt anschließend an den ArchäologInnen, während der Ausarbeitung des Fundmaterials durch Vergleiche (zum Beispiel mit anderen Ausgrabungen) die chronologische und funktionale Bedeutung der Funde zu bestimmen.

Dokumentation von Keramik und Steinartefakten

Thema Link
(SDS) Systematische und digitale Erfassung von Steinartefakten jungsteinsite.uni-kiel.de
(Nonek) Nordmitteleuropäische Neolithische Keramik nonek.uni-kiel.de

Chronologische Bedeutung von Artefakten

Acheuléen
Faustkeil aus dem Acheuléen, zwischen 500.000 und 300.000 Jahre alt. Muséum de Toulouse, Accession number: MHNT.PRE.

Die materiellen Hinterlassenschaften aus der Ur- und Frühgeschichte stellen für ArchäologInnen die umfangreichste und zugleich wichtigste Quellengattung da. Zu den grundlegenden Aufgaben jeder archäologischen Disziplin gehört die chronologische Auswertung der Funde. Das Erstellen von Chronologiesystemen und die zeitliche Einordnung von materieller Kultur sind Grundvoraussetzungen für alle weiteren Untersuchungen. Solange wir nicht wissen, was zeitgleich existierte und in Gebrauch war, können wir keine zuverlässigen Aussagen über das Leben in der Vergangenheit treffen.

 

Wir haben für euch in unserem Abschnitt zur Forschungsgeschichte einige wichtige Stationen zusammengestellt, in denen es um die Erstellung bzw. Verbesserung von Chronologiesystemene geht. Als sich Christian Jürgensen Thomsen mit dem Dreiperiodensystem befasste, griff er auf den Umstand zurück, dass sich Artefaktformen über die Zeit hindurch verändert haben und dass es folglich auch zeitspezifische Artefakt-Ensemble gibt. Im weiteren Verlauf des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts bemühten sich kulturgeschichtlich ausgerichtete Archäologen intensiv darum, Artefakte chronologisch und räumlich zu ordnen, indem sie auf stratigraphische Beobachtungen und die räumliche Verbreitung von Artefakt- sowie Verzierungsformen achteten. Oscar Montelius versuchte zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit einem typologischen Ansatz, Artefakte chronologisch einzuordnen. Sir William Matthew Flinders Petrie entwickelte das Seriationsverfahren, mit dem er über die wechselnde Vergesellschaftung von verschiedenen Artefakten aus geschlossenen Funden zu einer chronologischen Abfolge zu gelangen versuchte.

Technologische Funktion

Wer jetzt aber denkt, dass Artefakte allein eine chronologische Relevanz besitzen, der irrt sich. Jedes Artefakt hat in der Vergangenheit eine Funktion erfüllt, wenn nicht sogar mehrere. Sie wurden für etwas verwendet und dieses etwas können wir uns in günstigen Fällen schon durch die Form erschließen wie zum Beispiel bei Beilen, Äxten, Nadeln, Messern, Schwertern, Lanzenspitzen, Pfeilspitzen usw. Wenn wir dem Artefakt seinen Zweck nicht ansehen können, gibt es immer noch die Möglichkeiten, dass wir uns seiner ehemaligen Funktion z. B. durch makro- oder mikroskopische Beobachtungen auf seiner Oberfläche annähern. Aufgrund der Intensität der Abnutzungsspuren an einem Artefakt können auch Aussagen darüber getroffen werden, wie lange es in Verwendung gewesen ist und dementsprechend lassen sich Vermutungen darüber anstellen, wie „wertvoll“ es für seine BenutzerInnen gewesen sein könnte. Im Falle von  keramischen Gefäßen geben Kratzspuren im Inneren oder Rückstände von Ruß am Gefäßboden Hinweise auf ihre Verwendung. Im Labor können chemische Rückstandsanalysen  durchgeführt werden, natürlich nicht nur an Keramik. Mit solchen Methoden gewinnen wir beispielsweise Einblicke in prähistorische Ernährungsgewohnheiten. 

 

Artefakte sind aber mehr als reine Gebrauchsobjekte. Sie können mitunter als das Ergebnis von Anpassungsstrategien an eine Umwelt verstanden werden. Damit verrät uns ihre Funktion einiges über die Flora und Fauna zum Zeitpunkt ihrer Benutzung. So können wir aus dem Vorhandensein von Angelhaken davon ausgehen, dass Fisch in der näheren Umgebung des Fundplatzes vorkam und auch tatsächlich geangelt und gegessen wurde. Beile, Äxte und Sägen sind Werkzeuge, mit denen Holz verarbeitet wurde. Selbst wenn Holzfunde aufgrund von Erhaltungsproblemen eine Seltenheit darstellen, können wir darauf schließen, dass Holz in der näheren Umgebung verarbeitet wurde und dass es auch Holzartefakte gegeben haben muss. Darüber hinaus können Funde von Sägen, Nägeln und anderen Werkzeugen auch Hinweise dahingehend liefern, wie das Holz verarbeitet wurde. Techniken der Holzverarbeitung können insbesondere an Brunnenfunden studiert werden, weil deren Schächte in der Regel mit Holzkonstruktionen gebaut wurden und aufgrund ihrer tiefen Einlagerung in den Boden oftmals sehr gut erhalten sind.

 

Ausgrabungen fördern neben fertigen Artefakten auch sogenannte "Halbfabrikate" zutage, also Gegenstände, die noch nicht ganz fertig gestellt wurden. Diese Halbfabrikate bieten die Möglichkeit, den prähistorischen Handwerkern auf die Finger zu schauen und Arbeitsprozesse zu erkennen. Diese Funde ermöglichen weitere Einblicke in Handwerk und Ökonomie der Vergangenheit. Mit der Hilfe der Experimentellen Archäologie können weitere Erkenntnisse über die Arbeitsdauer und der Aufwand, der hinter einem Objekt steckt, eingeschätzt werden. Weitere Einblicke in das prähistorische Handwerk ermöglichen Funde von Gegenständen, bei deren Herstellung ein Fehler aufgetreten ist und die als Müll weggeworfen wurden. Hierzu gehören seltene Funde von Fehlgüssen aus Bronze – meistens wurden die Stücke erneut eingeschmolzen und wieder verwendet, um das wertvolle Metall nicht zu verschwenden. Vergleichsweise selten sind weiterhin Halbfabrikate von bronzenen oder eisernen Fibeln oder missglückte Schwerter.

Soziale Funktion

Artefakte sind aber nicht nur eine Anpassung an die Umweltverhältnisse und das alltägliche Leben. In ihnen sind damals wie heute auch soziale Beziehungen zum Ausdruck gekommen. Über sie wurden soziale Verhältnisse ausgedrückt, je nach archäologischer Kultur ist dies mehr oder weniger deutlich im Beigabenritus bei Bestattungen ausgeprägt. Toten wurden eine zeit- und gesellschaftsspezifische Behandlung zuteil, d. h. die Hinterbliebenen konnten durch die Beigabe von Objekten die soziale, religiöse oder politische Stellung der oder der Toten zum Ausdruck bringen. Darüber hinaus konnten sie sich bei der Beigabe von Objekten auch an dem Geschlecht oder dem Alter der Verstorbenen orientieren. Während die einen verbrannt und in einem neuen keramischen Gefäß beigesetzt wurden, bestattete man andere Mitglieder der Gesellschaft in gebrauchten Gefäßen oder setzte den Leichenbrand in einer schlichten Grube bei. Ob dieser Unterschied damals eine Rolle spielte, muss für jede Kultur im Detail geklärt werden. 

Diese Assoziation von Artefakten mit abstrakten Vorstellungen zur gesellschaftlichen Position eines Menschen bezeugen ein symbolisches Denkvermögen, das weit in die Prähistorie zurückreicht. Der Löwenmensch oder die Venusfigurinen zeigen uns, dass Artefakte bereits im Jungpaläolithikum Artefakte zu Symbolen geworden sind und damit zu Vermittlern von religiösen bzw. gesellschaftlichen Ideen. In diesem Sinne wird die materielle Kultur vom Menschen geschaffen und gleichzeitig wird der Mensch von ihr geprägt.

Kognition des Menschen

Venus vom Galgenberg
Venus vom Galgenberg, © Jan Miera 2011.

Schon die Idee, dass man einen Gegenstand zu Verrichtung einer Tätigkeit heranziehen kann, setzt ein abstrahierendes Denken voraus. Wenn ein Objekt dazu verwendet wird, um ein Artefakt herzustellen, befindet sich der Hersteller wieder auf einer anderen Ebene des Denkens. Wir stellen also fest, dass es verschiedene Typen von Artefakten gibt und jeder davon eine Aussage über die kognitiven Fähigkeiten seines Herstellers und Anwenders macht. Jeder Typ setzt unterschiedliche eine Form von Planung voraus, die schließlich zur Fertigung des Objektes notwendig ist. Wir können Primär-, Sekundär und Tertiärartefakte voneinander unterscheiden. 

 

Primärartefakte sind natürliche Gegenstände, die für einen Zweck herangezogen werden. Sie werden für diesen Zweck nicht modifiziert. Es bekannt, dass Menschenaffen Steine aufsammeln, um damit Nüsse zu knacken. Sie besitzen die Erfahrung, dass Steine härter sind als Nüsse und dass sie deswegen zum Knacken von Nüssen herangezogen werden können. 

 

Sekundärartefakte liegen vor, wenn man beispielsweise mit einem Schlagstein auf eine Knolle schlägt, um anderen Kanten abzuschlagen, d.h. eine gezielte Modifikation durchführt. Aus der Bearbeitung eines Primärartefaktes mit einem anderen Primärartefakt entsteht ein Sekundärartefakt.

 

Ein Tertiärartefakt kann nur mit einem oder mehren Sekundärartefakten hergestellt werden. D.h. man stellt sich Werkzeuge her, um mit diesen ein Artefakt herstellen zu können. Ein Speer ist ein gutes Beispiel hierfür. Man braucht nicht nur eine Kenntnis darüber, welche Holzart hierfür geeignet ist und wo man sie finden kann, man ist außerdem auf Werkzeuge angewiesen, mit denen man aus dem Holz einen Speer herstellen kann. Die ältesten Nachweise für Speere kommen aus Schöningen und sind ungefähr 300.000 Jahre alt. Sie stammen vom Homo heidelbergensis, dem Vorfahren des Homo neanderthalensis. Im Zusammenhang mit Tertiärartefakten wird auch Sprachfähigkeit diskutiert. Die Frage ist, ob erst durch die Verwendung von Sprache die Herstellung solcher Artefakte möglich wird oder nicht.

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