Eine neue Periode: Das Jungpaläolithikum

Kopf der Venus von Brassempouy, Gravettien. Urheber: Jean-Gilles Berizzi

An den Anschluss das Moustérien tritt ab. 40.000 BP eine neue Epoche an, die wir als Jungpaläolithikum bezeichnen. Diese beginnt etwa zeitgleich mit dem Eintreffen des Homo sapiens in Europa (Out-of-Africa-Theorie). Zu den ältesten Kulturen mit jungpaläolithischen Charakter gehören in Mittel- und Osteuropa das Széletien, Olschewien, Jerzmanovicien, Bohunicien, in Italien das Uluzzien und schließlich in Frankreich sowie Nordspanien das Châtelperronien, die letzte Werkzeugkultur der Neandertaler. Bisher ist die Frage ungeklärt, ob das Jungpaläolithikum in Europa entstand oder über Westasien „eingeführt“ wurde. Nicht allein das Eintreffen des modernen Menschen macht diese Epoche so einzigartig. Es ist vielmehr das Auftreten von symbolischen Artefakten wie es sie in dieser Form vorher nicht gab. Dreidimensionaler Schmuck, figürliche Kunst, Darstellung mythischer Wesen (Löwenmenschen) und Musikinstrumente gehören mitunter hierzu. Allein aus Südwestdeutschland sind bislang acht Flöten aus Vogelknochen bekannt.

Unterschiede zwischen dem Mittel- und Jungpaläolithikum

Eponyme Fundorte für paläolithische Werkzeug-Kulturen, Grafik © Jan Miera 2012.

Das Jungpaläolithikum wird aber noch in weiteren Punkten vom Mittelpaläolithikum unterschieden.  

1. Man kann eine effizientere Nutzung des Silex erkennen. Das Material wird in dem Sinne "besser" benutzt, als dass man zunehmen kleinere Abschläge produziert. D.h. es gibt bereits im frühen Jungpaläolithikum eine Tendenz zur Produktion von Mikrolithen. Das verwendete Rohmaterial wurde sogar oftmals auch über sehr große Strecken transportiert. Daran lassen sich auch teilweise die Wanderbewegungen der Menschen und die Wertschätzung verschiedener Rohstoffe ermitteln. 

2. Die Verarbeitung von Knochen und Geweih zur Herstellung von Gegenständen alltäglichen oder sogar rituellen Gebrauches ist ebenfalls neu. Neandertaler hatten auf ihrer "Speisekarte" zwar einen enormen Anteil an Tieren und damit potentiell viel Knochenmaterial zur Verfügung aber sie nutzten es nicht so intensiv wie der Homo sapiens. Neandertaler stellten ihre Artefakte überwiegend aus Silex her. Warum sie Knochen kaum nutzten, kann man im Moment nur schwer erklären. Sie verfügten über ein breites Spektrum an Steinartefakten, das ihren Lebenssituationen angepasst war. Sie gingen mit ihrem technologischen Know-how flexibel um, waren aber nicht in dem Sinne innovativ, als dass sie mit Knochenartefakten experimentierten.

3. Es werden neue Jagdwaffen wie der Boomerang, die Speerschleuder oder Pfeil und Bogen entwickelt. Es gibt für den Pfeil und Bogen bereits Hinweise aus dem Mittelpaläolithikum Afrikas. Zurzeit wird diskutiert, ob es sich hierbei um eine Technologie handelt, die gegebenenfalls mehrfach erfunden und wieder vergessen wurde.

4. Für Fundplätze aus dieser Zeit konnten verschiedene tätigkeitsbereiche identifiziert werden. Dazu gehören Speicheranlagen, Feuerstellen mit und ohne Steinkranz und andere Arbeitsbereiche, in denen zum Beispiel Ocker verarbeitet wurde.

Eine "Human Revolution"?

Galgenberg-Venus
Kunst wird als alleiniger Marker der frühesten kulturellen Identität inzwischen in Frage gestellt. Die Entwicklung des modern Verhaltens reicht bis in das Mittelpaläolithikum zurück. Zeichnung der Galgenberg-Venus, © Jan Miera 2011.

Die Verwendung von Farbpigmenten und Schmuck aus Muscheln oder Schneckenhäusern reicht bis in das Mittelpaläolithikum zurück. Diese Hinterlassenschaften sind sowohl aus Fundkontexten von modernen Menschen als auch von Neandertalern bekannt. Insofern kann man nicht sagen, dass die jungpaläolithische Kultur aus dem Nichts kommt, geschweige denn, dass der Homo sapiens allein Kunst schaffend und zu abstraktem denken befähigt gewesen sei. Aber gerade diese Haltung war bis zum Ende des 20. Jahrhunderts in der Archäologie weit verbreitet. Das Jungpaläolithikum charakterisierte man gerade dadurch, dass die ältesten Kunstwerke der Menschheit an den Beginn dieser Periode datierten. Man sprach von einer "human revolution", in der der anatomisch moderne Mensch sein modernes Denken entwickelte, d.h. den Grad an Geistigkeit erreichte, der uns heute ausmacht. 

 

Farbpigmente und durchlochte Muscheln oder perforierte Schneckenhäuser zählten nicht in den Kunstbegriff hinein. Als früheste Kunst wurden Statuetten wie der Löwenmensch oder die Venusfigurinen identifiziert. Woher kam diese Befähigung zur Herstellung von symbolischen Artefakten? Richard G. Klein vermutete, dass eine genetische Mutation der Auslöser zur Entwicklung des modernen Denkens gewesen sei. Diese sollte sich vor ca. 50.000 Jahren bei anatomisch modernen Menschen aus Afrika ereignet haben. Paul Mellars datierte diesen neurologischen Wandel in die Zeit zwischen 60.000 und 80.000 vor heute. 

Kulturelle Modernität im Jungpaläolithikum

Speerschleuder von La Madeleine
Neue Waffen: Ein Fragment einer Speerschleuder von La Madeleine. Zu sehen ist eine schleichende Hyäne. Foto: Klaus D. Peter, Wiehl.

Richard Klein formulierte in den 1990er Jahren eine Liste mit 10 Punkten, die zum Nachweis von modernem Verhalten (kulturelle Modernität) dienen sollten.

 

    • Eine deutliche Zunahme in der Unterschiedlichkeit und Standardisierung von Artefakttypen.
    • Eine in immer kürzeren Intervallen auftretende Veränderung der Artefaktspektren sowie die Herausbildung regionaler Varianten von Artefakttypen.
    • Das Herstellen von formalen Artefakten aus Knochen, Elfenbein und Muscheln (Ahlen, Spitzen, Nadeln etc.).
    • Die frühesten Hinweise auf unmissverständliche Kunst in Form von Tierdarstellungen oder Körperschmuck.
    • Eine räumliche Gliederung von Fundplätzen (Herdplätze etc.).
    • Der Transport von Rohmaterial über Strecken von mehreren Hundert Kilometern.
    • Hinweise auf diverse zeremonielle bzw. rituelle Handlungen (Gräber, Kunstobjekte).
    • Hinweise darauf, dass Menschen die Fähigkeiten besaßen, die kältesten kontinentalen Gebiete Eurasiens zu bewohnen. Damit ist die Hervorbringung von Artefakten gemeint, die eine Anpassung an extreme Umweltbedingungen ermöglichten.
    • Eine Zunahme der Bevölkerungsdichte, vergleichbar mit rezenten Jäger- und SammlerInnen in einer ähnlichen Umwelt.
    • Auch Nachweise für Fischfang mit Netzen und Fallen wurden als Marker des modernen Verhaltens gesehen.

     

    Diese Liste wurde seither mehrfach kritisiert. Sie wurde ausschließlich auf der Basis europäischer Funde zusammengestellt. Es ist durchaus fragwürdig, ob europäisches Fundmaterial als Maßstab für kulturelle Modernität herangezogen werden darf, wenn man danach auf anderen Kontinenten forscht. Interessant ist außerdem, dass einige der Stichpunkte selbst auf historisch bekannte (also moderne) Gesellschaften gar nicht zutreffen bzw. binnen kurzer Zeit archäologisch nicht mehr nachweisbar sind.

    Archäologen stehen immer noch vor dem Problem, dass sie ein theoretisches Konstrukt wie das "modern behavior" so definieren müssen, dass es anschließend in den materiellen Hinterlassenschaften  identifiziert werden kann. Hinzu kommt die Frage, ob eine Gesellschaft auch als modern gelten kann, wenn für sie nur einige, d.h. nicht alle Punkte nachweisbar sind. Der Begriff "modern behavior" impliziert, dass es auch so etwas wie ein "archaic behavior" gegeben haben muss. Wenn ja, wie wird es definiert und für welchen Vertreter der Gattung Homo traf es zu?

    "Multiple species model"

    Mit der Wende zum 21. Jahrhundert kam innerhalb der Forschung Kritik an dem Model der „human revolution“ auf. Im Zuge dieser Kritik wurden künstlerische und symbolische Funde aus dem Mittelpaläolithikum vorgestellt bzw. neu interpretiert. Hinweise auf symbolisches Denken und Verhalten sind aus über 100.000 Jahre alten Fundschichten in Afrika bekannt. Zu den bekanntesten Funden dieser Zeit zählen diejenigen aus der Blombos-Höhle. Dort wurden neben Knochenartefakten auch sehr viele Ockerstücke gefunden, die zum Teil Linienmuster und Bearbeitungsspuren aufweisen. Hinzu kommen Reibsteine und weitere Hinweise auf das Verarbeiten von Ocker zu Farbpulver. Eine Untersuchung der Ocker aus der Qafzeh-Höhle in Westasien konnte beweisen, dass er wegen seiner Farbe in die Höhle verbracht und dort verarbeitet wurde.

     

    Durch die Funde aus der Blombos-Höhle und von Qafzeh wurde klar, dass die Ursprünge des "modernen Verhaltens" nicht das Ergebnis einer genetischen Mutation sein können wie es Richard Klein und Paul Mellars vermuteten. Die modernen kognitiven Fähigkeiten stehen dagegen wahrscheinlicher am Ende eines langen Entwicklungsprozesses, der viel weiter in die Vergangenheit zurückreicht als bisher gedacht. Die Vertreter des "multiple species model" gehen noch einen Schritt weiter. Sie argumentieren dahin, dass das "modern behavior" nicht allein beim anatomisch modernen Menschen zu suchen ist, sondern bei allen menschlichen Vorfahren. Weil diese Theorie alle Vertreter der Gattung Homo berücksichtigt, spricht man vom sogenannten „multiple species model“. Homo heidelbergensis, Homo sapiens und Homo neanderthalensis hatten demnach dieselben kognitiven Grundlagen, die zu einer Entwicklung modernen Verhaltens führen konnten.

    Im Zuge der Kritik am Model der human revolution wurden auch die Definitionen von modern human behavior und symbolischen Verhalten neu formuliert. Letzteres wird anhand der folgenden vier Punkte definiert (vgl. McBrearty/Brooks 2000):

     

    • Abstraktes Denken: die Fähigkeit, im Bezug auf abstrakte Konzepte zu handeln, unabhängig von Zeit und Raum.
    • Vorausschauendes Planen: die Fähigkeit, auf vergangenen Erfahrungen aufbauend, Strategien zu formulieren und nach diesen in einer Gruppe zu handeln.
    • Verhaltensbezogene, ökonomische und technologische Innovationskraft.
    • Symbolisches Verhalten: die Fähigkeit, Objekte, Personen und  abstrakte Konzepte mit arbiträren Symbolen sprachlich und visuell darzustellen und diese Symbole in eine kulturelle Praxis einzubinden.

     

    Ferner stellten sie eine Liste mit archäologischen Indizien zusammen, anhand derer die genannten Punkte identifiziert werden können. Symbolisches Verhalten lässt sich demnach über regionale Artefaktstile, Körperzier, die Nutzung von Pigmenten, Objekte mit Gravuren und Kerben, Bestattungen mit Grabbeigaben und bildliche Darstellungen aufzeigen.

    Gesellschaft im Jungpaläolithikum

    Trois Frères
    Eine als Schamanendarstellung interpretierte Zeichnung aus Trois Frères (Dép. Ariège).

    Elman Service bezeichnet die Gesellschaftsform des Jungpaläolithikums als "band organisation". Diese Organisationsform soll es bis hin zum Epipaläolithikum gegeben haben. Als Beispiel für rezente „Vertreter“ dieser Gesellschaftsform werden die San aus Afrika genannt. Dieser Vergleich soll aber nicht bedeuten, dass die San noch in der Steinzeit leben würden. Die Steinzeit ist vorbei.

     

    In dieser Organisationsstufe halten sich nicht mehr als 100 Jäger und Sammler in einer Gruppe („band“) zusammen auf, in der jeder für jeden sorgt. Im Jungpaläolithikum werden diese "bands" erstmals saisonal sesshaft. Dies lässt sich anhand von Befunden für temporäre Hütten bzw. Zelte nachweisen. Der Aufbau der „bands“ ist egalitär. In den einzelnen Gruppen der Jäger und Sammler soll es eine informelle Anführerschaft gegeben haben. Als religiöse Instanzen werden Schamanen vermutet. Die Gemeinschaft insgesamt ist relativ lose aber dennoch nicht völlig unstrukturiert. Soziale Hierarchien sind für diese Zeit noch nicht nachgewiesen.

    Verwendete Literatur

    Autor Titel Seite
    Abadía et al. Redefining Neanderthals and Art: An Alternative Interpretation of the Multiple Species Model for the Origin of Behavioral Modernity. Oxford Journal of Archaeology 29, 2010 229–243
    Bar-Yosef The Upper Palaeolithic Revolution. Annual Review of Anthropology 31, 2002 363–393
    Conard A critical view of the evidence for a southern african origin of behavioural modernity. South African Archaeological Society Goodwin Series 10, 2008 175-179
    Higham European Middle and Upper Palaeolithic radiocarbon dates are often older than they look: problems with previous dates and some remedies. Antiquity 85, 2011 235–249
    McBrearty/Brooks The revolution that wasn’t: a new interpretation of the origin of modern human behavior. Journal of Human Evolution 39, 2000 453–563
    Shea Homo sapiens Is as Homo sapiens Was. Current Anthropology 52, 2011 1-35
    Zilhão Aliens from Outer Time? Why the “Human Revolution” Is Wrong, and Where Do We Go from Here? In: S. Condemi - G.-C. Weniger (Eds.), Continuity and Discontinuity in the Peopling of Europe: One Hundred Fifty Years of Neanderthal Study (Vertebrate Paleobiology and Paleoanthropology) 331-366

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    Greenland Ice Sheet Project 2 gisp2.sr.unh.edu

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