Als Aurignacien bezeichnen wir eine der beiden frühen großen Industrien des Jungpaläolithikums, die jeweils um 40 Kya anzusetzen sind. Benannt wurde das Aurignacien 1867 durch Gabriel de Mortillet nach dem Fundplatz Aurignac (Dép. Haute-Garonne). In dieser Industrie lassen sich auf Anhieb fast alle eben genannten Leitformen für die ganze Epoche finden: Kunst, Knochenartefakte (auch geschäftet), Klingen, Musikinstrumente, Höhlenmalerei, Tierfiguren, Mischwesen, erste sicher nachweisbare Bestattungen, das älteste Feuerzeug sowie Nadeln, allerdings ohne Öhr. Was die Menschen zum Schaffen von Kunst veranlasste, ist nicht geklärt und wird wahrscheinlich auch nie geklärt werden können. Es steht nur fest, dass mit dem Jungpaläolithikum der Mensch überall mit dem Kunstschaffen beginnt und die Ergebnisse sich wirklich sehen lassen können. Sie sind von Anfang an naturgetreu, proportional und anschaulich. Heutige Menschen zeichnen/malen nicht besser als ihre Vorgänger im Aurignacien. Nicht nur durch Grafiken auf Steinen und an Wänden schlug sich die Kreativität nieder, sondern auch in musischer Form wie Funde von Flöten aus Schwanenknochen belegen. Experimentelle Archäologen bauten diese Instrumente nach und stellten fest, dass mit solchen Instrumenten durchaus angenehm klingende Musik erzeugt werden konnte.
Wichtig ist zudem, dass ab diesem Moment geradezu regelmäßig Bestattungen durchgeführt wurden. Im Mittelpaläolithikum gab es auch bereits Bestattungen, allerdings gibt es deutliche Unterschiede bezüglich der Ausstattung, ausrichtung des Toten etc. Im Jungpaläolihtikum wurden die Verstorbenen in bestimmten Positionen begraben und erhielten zudem Beigaben in allen möglichen Formen, was einerseits auf enger werdende Mitmenschlichkeit hindeutet und andererseits aufzeigt, dass man den Tod sehr wahrscheinlich mit Jenseitsvorstellungen in Verbindung gebracht hat, die sich fortan immer mehr konkretisieren und später in differentzierten Grabformen und Bestattungsriten münden werden.
Je nachdem wie man Kunst definiert, datiert die älteste bekannte Kunst spätestens in das Jungpaläolithikum. Im vorausgehenden Mittelpaläolithikum war es schon vorgekommen, dass man sich mit Schmuck aus Schneckenhäusern oder ähnlichem bekleidet und roten Ocker verwendet hatte. Aber Kunst in Form von Bildern oder selbstgemachten dreidimensionalen Statuetten gab es vorher nicht.
Die älteste Kunst
Während des 19. Jahrhunderts wurden bei Grabungen in französischen Höhlenfundplätzen die ersten gravierten Knochen gefunden. Der Entdecker dieser Objekte war der Franzose Édouard Lartet. In der Höhle von Massat stieß er 1860 auf die entsprechenden Funde. Ein paar Jahre darauf wurden in den Stationen La Madeleine, Les Eyzies, Laugerie Haute, Laugerie Basse oder Mas d'Azil weitere Funde prähistorischer Kunst gemacht. Weil die Ausgräber zu den führenden Persönlichkeiten ihres Faches gehörten, wurden ihre Entdeckungen anerkannt. Hin und wieder gab es Zweifel an der Echtheit, weil Fälschungen von Arbeitern oder Kindern auftauchten. Der Zweifel konnte aber durch neue Funde und gesicherte stratigraphische Beobachtungen relativ schnell beseitigt werden.
Dass der vorgeschichtliche Mensch schon so früh Kunst geschaffen hatte, verblüffte viele Zeitgenossen. Bisher hatte man den "primitiven" Vormenschen die Fähigkeit, Kunst erschaffen zu können, nicht zugebilligt und daher war jeder weitere Fund war eine kleine Sensation.
Gedächtnis und Erinnerung sind identitätstiftend für Individuen und für Gruppen. Der Begriff Gedächtnis an sich kann nach Jan Assmann in zwei Kategorien geteilt werden. Das kommunikative Gedächtnis bezieht sich auf biografische Erinnerungen. Es ist mit sozialen Interaktionen auf einer kontinuierlichen Basis verknüpft. Diese Basis ist demnach gegenwartsbezogen und mit Alltagsobjekten verbunden. Das kulturelle Gedächtnis dagegen muss erlernt und vermittelt werden, weil es nicht jedem zugänglich ist. Es reicht weit in eine bereits mythische Vergangenheit zurück. Es manifestiert sich in Ritualen, jährlichen Festen, Tänzen oder in besonderen materiellen Strukturen
Mittels dieser Differenzierung können wir einen blick auf die ältesten Statuetten des Jungpaläolithikums werfen. Bisher wurden im Vogelherd, Hohle Fels, Hohlenstein-Stadel und dem Geißenklösterle ca. 20 Tierfiguren gefunden. Artefakte, die immer nach demselben Schema hergestellt wurden, zum Beispiel Klingen, gehören zum kommunikativen Gedächtnis in der materiellen Kultur. Tierstatuetten dagegen kann man als Ausdruck des kulturellen Gedächtnisses betrachten. Figurale Kleinkunst ist im Vergleich zu Klingen oder Kratzern einzigartig, keine Statuette sieht der anderen ähnlich. Auch der Arbeitsaufwand ist anders als bei Objekten des kommunikativen Gedächtnisses. So brauchte man für die Anfertigung des Löwenmenschen mindestens 300 Arbeitsstunden. Wulf Hein hat ihn selbst nachgeschnitzt und ist dabei auf diesen Zeitumfang gekommen. Was ist an den Statuetten noch so besonders? Die meisten weisen eine Durchlochung auf und wurden daher sehr wahrscheinlich am Hals getragen. Sie waren damit an ein Individuum gebunden und zeichneten die entsprechende Person aus. Bei der Tierwahl sind die Menschen bewusst vorgegangen und haben mit den Tieren die möglicherweise entsprechende Verhaltensweisen und Attribute assoziiert. Die Statuetten sind zwar individuell hergestellt worden, allerdings in einem durch das kulturelle Gedächtnis vorgegebenen Rahmen. Durch die Statuetten sind die Betrachter an ihre Rolle in der Welt erinnert worden – in ihnen war das kulturelle Gedächtnis gespeichert. Die Herstellung dieser Statuetten stellte einen bewussten Produktionsakt dar, bei dem das kulturelle Gedächtnis reproduziert wurde. Im Gegensatz dazu hat man das kommunikative Gedächtnis weniger bewusst reproduziert. Durch diese bewusste Reproduktion konnte das kulturelle Gedächtnis über große Zeitspannen tradiert werden.
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Webseite der Chauvet-Höhle | culture.gouv.fr... |
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