Der Piltdown-Mensch

Ein europäischer Missing Link

Nachdem 1856 der Neandertaler in Deutschland gefunden wurde, vermutete man auch dort die Wiege der Menschheit – schließlich war es zu dem Zeitpunkt das älteste bekannte Fossil eines Vormenschen. Jahrzehnte später, nämlich 1891, wurde diese Vorstellung aufgegeben, weil man in Südostasien ein noch viel älteres Skelett eines Vormenschen gefunden hatte.  Man kann sich natürlich vorstellen, dass mit solchen großartigen Funden ein ebenso großes Prestige verbunden ist. Das Land, welches das älteste Vormenschenfossil beheimatet, ist natürlich auch stolz darauf. Allerdings kann dieser Stolz bzw. das Verlangen nach dieser Anerkennung selbst Wissenschaftler zu unkorrekten Ideen verführen. 

Der falsche Urmensch

Piltdown Man
Zu sehen sind in der hinteren Reihe von links nach Rechts: F. O. Barlow, G. Elliot Smith, Charles Dawson, Arthur Smith Woodward. In der vorderen Reihe: A. S. Underwood, Arthur Keith, W. P. Pycraft, und Sir Ray Lancaster. Das Gemälde wurde 1915 von John Cooke angefertigt.

1913 sollte der Ursprung der Menschheit von Südostasien nach Europa zurückgeholt werden. Nicht nach Deutschland, sondern nach England. Dort veröffentlichte man einen Schädelfund, der im Jahr zuvor von Charles Dawson (1864-1916) in einer Kiesgrube bei Piltdown (East Sussex) gemacht worden war. Es war eine Fälschung, die jeder Anthropologe hätte erkennen müssen. Der Schädel stammte aus einem mittelalterlichen Grab, der Unterkiefer von einem ca. 500 Jahre alten Orang-Utang und fossilen Zähnen eines Schimpansen, die man etwas abgeschliffen hatte. 

 

Als Dawson dem damals geschätzten Paläontologen Sir Arthur Smith Woodward (1864-1944) übergab, kam ihm der Schädel nicht verdächtig vor. Er begleitete Dawson sogar bei weiteren Nachgrabungen und fand mit ihm zusammen den Unterkiefer sowie vermeintliche Steinartefakte. Selbst als sie die Reste eines Cricketschlägers fanden, wurden sie nicht skeptisch. Der Fund wurde als paläolithisches Artefakt gedeutet, obwohl den Schwindel hätte aufliegen lassen können.

Der Fund passte perfekt in die damalige anthropologische Vorstellung zur Evolution der Menschheit. Man war davon ausgegangen, dass auf allen Vieren sich fortbewegende affenartige Tiere zu einem Bestimmten Moment ein größeres Gehirn entwickelt hätten. Die größere Gehirnmasse hätte schließlich die Konsequenz gehabt, dass diese Tiere das Denken lernten und letztlich so zum Menschen wurden. Der Fund von Piltdown bestätigte die Meinung der Anthropologen und galt als der bis dahin vergeblich gesuchte Missing Link für den Stammbaum des Menschen. Es gab zunächst keinen triftigen Grund, von einer Fälschung auszugehen. Er erhielt schließlich die wissenschaftliche Bezeichnung "Eoanthropus dawsoni" (= Dawsons Mensch der Morgenröte).  Später erhielt er den Nicknamen "the earliest Englishman".

 

Mit dem Namen sollte unterstrichen werden, dass dies der erste Mensch gewesen sei. Gerade vor dem Hintergrund des Ersten Weltkrieges und der Rivalität zwischen dem Vereinten Königreich und Deutschland spielten sicherlich auch politische Ambitionen bei der Fälschung eine Rolle.

Die Entdeckung des Australopithecus

In der Mitte der 20er Jahre kam ein völlig unerwarteter Fund in Südafrika zutage. 1924 wurde in Taung von Raymond Dart der Schädel eines etwa 4 Jahre alten Vormenschenkindes gefunden. Dart stellte fest, dass dies der Schädel einer neuen Vormenschenform war, die er als Australopithecus (= Südaffe) beschrieb. 

 

Weil sich das Hinterhauptloch unten am Kopf befand, konnte er außerdem beweisen, dass dieses Kind aufrecht gegangen sein musste. Wenn diese Ansatzstelle für das Rückenmark hinter dem Kopf liegt, dann handelt es sich um Vierbeiner. Liegt sie aber unter dem Kopf, dann handelt es sich um Zweibeiner. Diese Erkenntnis, dass am Anfang der Menschwerdung der aufrechte Gang steht und nicht das große Gehirn zum Denken, widersprach den Befürwortern des Piltownfundes. Bei dem Piltdownfund handelt es sich um das exakte Gegenteil: Vierbeiner mit großem Hirn. 

Das Kind von Taung lief aufrecht und hatte keineswegs ein großes Gehirn. Erneut musste man die begehrte Wiege der Menschheit an einem anderen Ort lokalisieren. Im gleichen Zuge mehrte sich eine berechtigte Skepsis an dem Schädel von Piltdown.  

Entlarvung des Piltdown-Menschen

Piltdown Hoax
Zusammengesetzter Schädel des Piltdown-Menschen. Die rekonstruktion wurde von J. Arthur Thomson angefertigt.

Die Fälschung konnte erst 1953 als solche entlarvt werden. Nachdem viele neue Skelettfunde zur Rekonstruktion des Stammbaumes gemacht worden waren und die Radiokarbonmethode von Frank Libby in den 1940er Jahren erfunden wurde, sprachen alle neuen Erkenntnisse gegen den Fund aus Piltdown. Man kam sogar in Erklärungsnöte. Der einstige Missing Link wurden zu einem Sorgenkind der Paläoanthropologen, das sämtlichen Befunden widersprach. Während man sich zunächst über die Entdeckung des Piltdown-Menschen gefreut hatte, fiel 1953 den Forschern ein Stein vom Herzen als bekannt wurde, dass es sich um keinen echten Fund handelte. Der Schädel stammte aus einem mittelalterlichen Grab, der Unterkiefer von einem ca. 500 Jahre alten Orang-Utang und fossilen Zähnen eines Schimpansen. Außerdem waren die Knochen chemisch behandelt worden, sodass sie sich verfärbten und eine Patina (Indiz für hohes Alter) vortäuschten. Einer der Eckzähne war sogar angemalt worden.

 

Der oder die Fälscher wurden bis heute nicht eindeutig identifiziert. Sehr verdächtig ist jedoch Martin Hinton (1883-1961), ein ehemaliger Museumsmitarbeiter und Konkurrent von Woodward. Aus Briefen geht hervor, dass er schon sehr früh wusste, dass es eine Fälschung war. Er machte jedoch keine Versuche, dies zu publizieren. Zudem wurden 1970 im Natural History Museum in einem Koffer von ihm Knochen gefunden, die dieselben Färbungen aufwiesen wie diejenigen von Piltdown.

Verwendete Literatur

Autor Titel Seite
B. G. Gardiner The Piltdown forgery: a re-statement of the case against Hinton. Zoological Journal of the Linnean Society 139/3, 2003 315–335
R. G. Klein The Human Career: Human Biological and Cultural Origins 23f., 136
C. Renfrew / P. G. Bahn Basiswissen Archäologie: Theorien - Methoden - Praxis 285f.
F. Schrenk Die Frühzeit des Menschen 80
C. Stringer Palaeontology: The 100-year mystery of Piltdown Man. Nature 492, 2012 177–179.
W. S. Weiner / K. P. Oakley / W. E. Le Gros Clark The solution of the Piltdown problem. Bulletin of the British Museum of Natural History, Geology 2/3, 1953 139–146.
W. S. Weiner / K. P. Oakley / W. E. Le Gros Clark Further contributions to the solution of the Piltdown problem. Bulletin of the British Museum of Natural History, Geology 2/6, 1955 225–287.

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